Schneckle im Elchtest
Steves Schandtaten. Das war echt lustig. Ulrike ist daraufhin nämlich über den guten Steve gekommen wie einer der apokalyptischen Reiter. Zu fünft mussten sie die Furie von ihm wegziehen. Der sah vielleicht aus: zermatschte Nase, zerkratztes Gesicht, büschelweise ausgerissene Haare. Soweit ich weiß, war damals noch nicht klar, ob der rechte Vorderzahn – also nicht der schiefe, der daneben – noch gerettet werden konnte. Schade wär’s ja nicht um ihn. Lange wird es sowieso nicht dauern, bis die Stummelchen alle ausfallen. Von Zahnhygiene hält die ganze Familie nicht viel. Naja.« Sie zuckte mit den Achseln. »Auf jeden Fall hat Ulrike auch noch dem armen Joe eine Riesenszene gemacht – und ihm vor Ort ein Ultimatum gestellt: Entweder er würde sie noch in diesem Jahr heiraten oder sie würde sich von ihm trennen.« Kerstin lächelte fein.
»Und?«, fragte ich gespannt.
»Rate mal.« Sie lächelte unbeirrt weiter.
»Jetzt rück schon raus damit!«, schimpfte ich.
»Na gut. Er hat abgelehnt.« Sie lehnte sich zurück und genehmigte sich einen weiteren extragroßen Schluck Schorle. »Unglaublich, wie durstig dreißig Grad machen ...«
»Erzähl weiter«, bettelte ich.
»Was soll ich sagen? Ulrike hat ihre heulenden Töchter und ihr Gelumpe zusammengepackt, hat sich Joes Auto geschnappt und wollte davonbrausen. Joe hat noch versucht, sie davon abzuhalten, da hat sie ihm die ... na, rate mal?«
»Auf keinen Fall«, staunte ich.
Kerstin nickte eifrig. »Doch, genau. Die Nase. Zack.« Sie haute so unvermittelt und kräftig auf den Tisch, dass alle Leute im Umkreis von drei Metern einen kleinen Satz in die Luft machten. Dann fuhr sie ungerührt fort: »Zugegeben, sie hat es nicht ganz so effektiv und formschön wie du bei Steve hingekriegt. Aber es war doch immerhin ein halbwegs sauberer rechter Haken. Und da saßen sie nun einträchtig, die LabskausNasenbären, und taten sich entsetzlich leid.«
»Mir nicht«, frohlockte ich, leerte mein Glas und winkte damit dem nach wie vor bewundernd zu uns herüberstarrenden Kellner.
Warum war ich nur mit so vielen Freundinnen gesegnet, die ständig Kellner aus dem Konzept bringen mussten?
»Und dann haben sich alle anderen auch leidgetan und du bist mit deinen Eltern abgereist?« Ich wollte endlich das Ende der Geschichte hören.
Sie grinste wie ein Haifisch. »Nope. Viel besser. In dem Moment hatte nämlich Edith ihren großen Auftritt. Sie hat Steve unendliche Vorwürfe gemacht, weil er dich hat entwischen lassen.«
»Edith?«, fragte ich entgeistert. »Die hasst mich doch!«
»Ja, schon«, winkte Kerstin ab. »Aber wie sich herausgestellt hat, sind Steves Eltern ziemlich pleite. Und Edith hatte gehofft ...«
»Dass Steve und ich sie zu uns nehmen?«, flüsterte ich. Ich spürte förmlich, wie meine Augen jeden Moment aus dem Kopf zu kullern drohten.
Kerstin nickte zufrieden. »Ja. Überleg mal, wie viele randvolle Kelche da an dir vorübergegangen sind. Naja. Ein Gutes hatte das Ganze.«
»Nämlich? Dass du Ulrike und die Kicherzwillinge nie mehr wiedersehen musst?«
»Nö. Steve zieht nach Frankfurt.« Wieder leerte sie ein Glas.
»Bitte? Das verstehe ich nicht«, meinte ich nur.
Kerstin seufzte. »Udo leiht Martha und Hartmut 10 000 Euro, damit sie ihre Galerie nicht gleich dichtmachen müssen und zu ihm und Edith ziehen. Reiner Eigennutz also. Mit den drei Weibern, die er bereits an der Backe hat, ist er nämlich reichlich bedient. Allerdings hat er eine Bedingung gestellt: Das Geld muss sorgfältig investiert und die PR für die Galerie mächtig angekurbelt werden. Du wirst es nicht glauben, aber so schlecht ist Martha als Galeristin gar nicht. Naja. Schlecht schon. Aber immerhin kann sie sich und ihren Göttergatten damit über Wasser halten. Und Steve zieht nun zu ihnen ins Haus, oben ist noch ein Zimmer unter dem Dachboden frei. Von dort aus kann er Marthas Kunstschätze knipsen und vermarkten, so viel er will – und mit Udos Hilfe hoffentlich einen Fuß auf den PR-Boden vor Ort bekommen.«
Ich seufzte tief. »Toll, Kerstin, wunderbar. Gibst du mir bei Gelegenheit Udos Nummer, damit ich ihm von Herzen dafür danken kann, dass ich Steve hoffentlich in meinem ganzen Leben nie wieder über den Weg laufen werde? Ich hatte schon befürchtet, dass ich irgendwann vielleicht sogar bei derselben Zeitung wie er arbeiten müsste. Stell dir das mal vor.« Ich schüttelte mich wie ein nasser Hund.
»Das lasse ich lieber. Warum sollte ich mir diesen
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