Schnee an der Riviera
kategorisch.
Nelly ließ Gerolamo kommen, der damit beschäftigt war, hier und dort Informationen einzuholen. Auf Sardinien war Monica nicht gesehen worden, das Haus war verschlossen. In Madonna di Campiglio dasselbe. Natürlich konnte sie noch auf dem Weg dorthin sein oder bei Freunden untergeschlüpft sein. Auch von ihnen hatte er ein paar Adressen, alles schon überprüft. Undurchdringliches Dunkel, für den Moment.
»Was glaubst du, Gerolamo, werden wir sie lebend finden?«, begann Nelly und sah ihren Assistenten ernst an, das Kinn auf die Hände gestützt. Ihre roten Haare leuchteten in einem Sonnenstrahl, der sich durch die heruntergelassenen Jalousien ins Zimmer stahl, ihre Sommersprossen waren auffälliger als sonst und ihre Augen bis auf schmale Schlitze geschlossen. Gerolamo fand seine Chefin richtig attraktiv, aber nur einen winzigen Augenblick lang, da ihm solche Gedanken völlig fremd waren. Nelly war sakrosankt, genau wie seine Arbeit.
»Es sieht immerhin so aus, als sei sie aus freien Stücken weggegangen, Dottoressa.«
»Schon, aber selbst wenn dem so wäre, ist sie jetzt ohne Schutz. Und meiner Meinung nach weiß dieses Mädchen einfach zu viel.«
»Die Kinder sind sich über den Ernst der Lage gar nicht im Klaren. Für sie ist das alles ein Spiel. Wie auf dem Computer. Die Realität ist etwas anderes. Dabei gab es schon zwei Morde, verdammt noch mal, wie kann es sein, dass sie sich nicht vor Angst in die Hosen machen? Naivität hin oder her, das ist wirklich zu viel.«
Gerolamo hatte sich zu einem für seine Verhältnisse ungewöhnlich langen Monolog hinreißen lassen. Nelly sah ihn fragend an, während sie einen flüchtigen Gedanken verfolgte.
»Val Fontanabuona ... vorausgesetzt, es handelt sich um dieses Tal, denn es könnte genauso gut Crocefieschi oder Voltaggio oder was weiß ich sein. Schau dir das Bild hier an. Hör mal, bisher haben wir nur vage Hypothesen, nicht die geringste Spur, die diese Bezeichnung verdient. Die einzige Verbindung, die wir zu einem Tal im Landesinneren haben, ist, so abwegig das klingen mag, die Tatsache, dass dort der Hausmeister vom Klee wohnt, ein gewisser Gian ... Name und Nachname findest du in der Schulakte. Ich will, dass du die Carabinieri von Chiavari kontaktierst, oder besser noch die von Gattorna, keine Ahnung, entscheide selbst, und ihnen sagst, sie sollen überprüfen, wo er wohnt und ob dieses Haus hier irgendwo dort steht. Ich will nichts unversucht lassen, verstehst du? Immerhin«, fügte sie nachdenklich hinzu, »war der Hausmeister der Erste, der bei Franci war ... bei dem jungen Bagnasco, nach dem Sturz. Er befand sich vor dem Schulgebäude, vielleicht hat er etwas bemerkt oder jemanden aus dem Nebengebäude kommen sehen, erinnert sich an irgendetwas, an das er vorher nicht gedacht hat. Vielleicht findest du etwas Interessantes über das Leben der Jugendlichen außerhalb der Schule heraus.«
»Okay, Dottoressa.«
Während Gerolamo sich wieselflink in Bewegung setzte, erschien auf Nellys privater Leitung die Nummer von Veronica, Maus Schutzengel. Eine böse Vorahnung überfiel sie.
»Veronica?«
»Dottoressa Rosso? Ich wollte nur sagen, hier ist alles in Ordnung. Keinerlei Probleme.«
Nelly seufzte erleichtert.
»Wie hat er die Nachricht aufgenommen, dass der Tod seines Freundes Franci kein Unfall war? Und die von dem Mord an Habib?«
»Er war schockiert, klar, aber was seine Kumpels betrifft, ist er sehr zugeknöpft. Ich habe versucht, ihn zum Reden zu bringen, habe aber nichts herausfinden können. Ansonsten ist er ein supernetter Junge und es macht richtig Spaß, auf ihn aufzupassen.«
»Ja, wenn er will, kann er nett sein. Ich werde ihn baldmöglichst zu den neuesten Entwicklungen interviewen müssen. Danke erst mal, und grüß ihn mir.«
»Wird gemacht, Dottoressa.«
Immerhin an dieser Front herrschte relative Ruhe. Nelly stellte sich kurz das alte Häuschen im Tal vor, die Wiesen mit Schlüsselblumen, Ranunkeln und Klee, den Pollen der Akazienblüten, der alles wie mit einer feinen Schneedecke überzog, den süßlichen Duft. Plötzlich wünschte sie sich sehnlichst, selbst dort zu sein, vielleicht Wasser aus dem Brunnen zu schöpfen, den schweren Brotteig des traditionellen micon zu kneten und in den Ofen zu schieben, die Kaninchen und Hühner zu füttern und den Gemüsegarten zu jäten, weit, ganz weit weg von Morden und allen Scheußlichkeiten dieser Welt. An einem anderen Ort, zu einer anderen Zeit. Das bukolische Bild
Weitere Kostenlose Bücher