Schnee an der Riviera
sieht tatsächlich nicht danach aus. Passt alles zusammen: das halbe Herz, die Zeichnung ...«
»Klar, verflixt noch mal. Sie haben uns alle zum Narren gehalten. Aber zu welchem Zweck? Warum, verdammt noch mal?«
»Dottoressa, fangen Sie nicht schon wieder an. Und mäßigen Sie Ihre Ausdrucksweise. Das bringt die Ermittlungen auch nicht voran«, lachte Carlo erheitert, als sie einem Stuhl einen Tritt versetzte, so dass er mit den Beinen nach oben zu liegen kam.
»Sie haben sich weiterhin getroffen oder wieder damit angefangen, verstehst du? Aber warum heimlich? Ob sie die Reaktion der Pittalugas fürchteten? Kaum vorstellbar. Und Habib? Und Franci? Welche Rolle spielen sie in der ganzen Geschichte? Das ergibt alles keinen Sinn. Nicht das geringste bisschen Sinn. Und außerdem hast du recht. Wegen des Handys und seines Inhalts muss ich unbedingt mit Mau reden.«
»Das wird nicht so leicht sein. Du kannst ja schlecht einfach zu ihm fahren. Sie könnten dir folgen. Und am Telefon wirst du nicht viel aus ihm herausbekommen.«
»Ich fahre trotzdem hin. Sofort. Das Schutzprogramm ist mir egal, dann müssen wir Mau eben woanders hinbringen.«
»Und mein Tiramisu?«, fragte Carlo bedauernd.
»Du hast Tiramisu gemacht? Also dafür ist immer Zeit. Und dann düse ich nach Castagnole. Ich sag schnell Veronica Bescheid.«
»Dann düsen wir beide nach Castagnole«, verbesserte er sie, während er das Tiramisu aus dem Kühlschrank holte und auf den Tisch stellte. Doch das Schicksal wollte es, dass sie es nicht in Ruhe genießen konnten. Während Carlo die Tellerchen bereitstellte und die Konsistenz seines Werkes prüfte, wählte Nelly Veronica Peronis Handynummer. Immer nervöser tippte sie drei oder vier Mal die Zahlenfolge ein, dann drehte sie sich um und sah ihren Gefährten mit gerunzelter Stirn an.
»Es geht niemand ran. Wie kann das sein? Sie muss doch immer erreichbar sein.«
»Vielleicht ist es ausgeschaltet?«
»Ach was, sie geht nicht ran. Das Telefon klingelt, dann schaltet es auf besetzt, weil niemand abhebt. Was kann da nur passiert sein? Los, wir müssen hinfahren.«
»Beruhige dich, versuch es gleich noch mal von unterwegs, vielleicht ist sie ja gerade auf der Toilette, was weiß ich, oder kann aus sonst einem Grund nicht rangehen.«
»Genau, sie kann nicht. Aber warum? Das ist es ja, was mir Sorgen macht!«
Carlo saß am Steuer und Nelly, die noch mehrmals vergeblich versucht hatte, Veronica zu erreichen, wurde immer unruhiger, je näher sie Castagnole erst über die Autobahn und dann der Landstraße folgend kamen. Die wenigen Gewissheiten, auf die sie gebaut hatte, waren durch die Entdeckung ins Wanken geraten, dass Mau und Monica wieder zusammen waren, und das wahrscheinlich schon seit einigen Monaten oder mehr. Welche Rolle spielte also ihr Sohn? Vom unschuldigen Zuschauer zum Hauptdarsteller, sollte Monica in der Geschichte tatsächlich eine relevante Rolle einnehmen, wovon Nelly nach wie vor überzeugt war. Und was befand sich auf dem Mikrochip, den Franci vor seiner Ermordung dem Freund anvertraut hatte? Hing sein Tod irgendwie mit dem Besitz dieser potentiellen Informationen zusammen? Bei Habib war es wahrscheinlich dasselbe, wenn man den Worten dieser merkwürdigen Person Glauben schenken konnte, die Mau einen Besuch abgestattet und sich als Polizist ausgegeben hatte: »Dein Franci hatte was, das nicht ihm gehörte, und dafür hat er mit dem Leben bezahlt ...« Doch auch diese Verdachtsmomente traten nun in den Hintergrund angesichts ihrer Sorge, dass dort unten, in dem alten Bauernhaus, etwas passiert sein könnte, etwas, das eine erfahrene Polizistin wie Veronica daran hinderte, den Anruf ihrer Vorgesetzten entgegenzunehmen.
Die Staatsstraße war quasi leer, und auch auf den Landstraßen nach Castagnole wurden die Kurven nur selten von den Scheinwerfern entgegenkommender Autos beleuchtet. Dunkle Waldflecken wechselten mit Weinbergen und den mondbeschienenen Wiesen der Täler ab. Dann auf einem Hügel die Ortschaft, die Burg. Sie fuhren nicht hinein, sondern umrundeten die Stadtmauer in Richtung Al Pus , wie der Hof der Großeltern in der Gegend genannt wurde. Tante und Onkel waren schon vor einigen Jahren ins Dorf gezogen, weil sie nicht mehr alleine in dem alten, unkomfortablen Landhaus bleiben konnten, schon gar nicht im Winter. Sie hatten den Hof übernommen, als Nellys Eltern ins Dorf gegangen waren. Doch die waren schon lange tot, und mittlerweile verbrachten nur noch sie und
Weitere Kostenlose Bücher