Schnee an der Riviera
umgedreht und strebte mit Gerolamo im Gefolge dem Ausgang zu.
»Danke, wir finden allein hinaus. Ach, übrigens, Dottor Pittaluga hat uns auch einige interessante Enthüllungen gemacht über Ihre Beziehungen ... sagen wir mal, intimerer Art, wenn man diesen etwas antiquierten Ausdruck verwenden möchte.«
Das war zu viel.
»Schwachsinn. Er kann Ihnen rein gar nichts enthüllt haben. Und selbst wenn, was gäbe es groß zu sagen. Schnee von gestern, längst vorbei, ein unbedeutendes Abenteuer. Als ich mich von meinem Mann getrennt habe, hat Dottor Pittaluga mich sehr unterstützt, das war alles.«
»Wenn Sie das sagen, Signora ... Gute Nacht.«
Nelly und Gerolamo gingen hinaus, während das durchdringende Kreischen eines Zuges die Stille des milden, von betörenden Düften erfüllten Abends zerriss. Kurz vor Genua brach Gerolamo das Schweigen. Er sah Nelly von der Seite an, sie wirkte hundemüde.
»Hut ab, Dottoressa, die haben Sie ganz schön in die Enge getrieben.«
»Ich habe es so satt, von allen verarscht zu werden in dieser vermaledeiten Geschichte, Gerolamo. Allen voran von meinem Sohn. Aber jetzt gehen wir schlafen, mein Akku ist leer. Wenn es keine weiteren Neuigkeiten gibt, von denen es heute schon ein paar zu viel waren, aber man weiß ja nie, bleibst du morgen mal bei deiner Familie. Die anderen jedoch schicken wir durch die Altstadt, um die Fotos von Alfio oder Paco herumzuzeigen, wie der Kerl auch immer heißen mag, und seine Wohnung zu finden, irgendjemand muss doch diesen Mann kennen, den ... den ich erschossen habe«, sagte sie und sah ihm direkt in die Augen.
»Quälen Sie sich nicht. Besser, er liegt im Leichenschauhaus als Sie oder Ihr Sohn.«
»Gute Nacht, Gerolamo.«
»Gute Nacht, Dottoressa.«
Sie hatte ihn nach Hause nach Sampierdarena gefahren. Gerolamo wohnte an einem kleinen, wundersam ruhigen Platz, der wie eine Oase abseits der befahrenen Straßen lag. Es gab sogar ein wenig schüchternes Grün, ein paar alte Bäume und eine dörfliche Atmosphäre. Ein Ort, der zu Gerolamo passte, dachte sie und beobachtete, wie er etwas vornübergebeugt die Haustür aufschloss.
Irgendwie schaffte Nelly es bis in ihr Bett. Sie sah alles wie durch einen Schleier, nicht nur vor Müdigkeit. Dann verzog sich der Nebel plötzlich, und sie starrte mit aufgerissenen Augen die Zimmerdecke an, während einige unglaubliche Ideen in ihrem Kopf Gestalt annahmen. Doch als sich eine halbe Stunde später Carlo sachte neben sie unter die leichte Bettdecke schob, schnarchte sie schon leise.
SIEBTER TAG
Morgen
Mau schlief noch in dem kleinen Krankenhauszimmer. Der Wachtposten vor der Tür erhob sich, um Kommissarin Rosso zu begrüßen, die gegen neun Uhr am Morgen auftauchte, in der Hand die in Papier gewickelte Frühstücksfocaccia.
»Alles ruhig, Lepri?«
»Alles okay, Dottoressa. Vor zwei Stunden habe ich Vitti abgelöst.«
»Gut, bis gleich.«
Leise trat Nelly ein und setzte sich ans Kopfende des Bettes neben ihren Sohn. Nichts Gravierendes, hatten die Ärzte zu Carlo gesagt, nur eine leichte Gehirnerschütterung. Zwei Tage unter Beobachtung, ein wenig Ruhe, und er wäre wiederhergestellt. Während sie wartete, dass ihr Sohn aufwachte, verzehrte Nelly gedankenverloren zwei Stücke Focaccia. Wenn sie ihn so schlafend daliegen sah, fragte sie sich, wie er es nur schaffte, derart unschuldig und jung und wehrlos auszusehen und sie gleichzeitig so brutal und kalt zu belügen. Lügen, die ihn das Leben hätten kosten können. Während die Mutter ihren Erinnerungen und Gefühlen nachhing, öffnete Mau ein Auge und begegnete ihrem ernsten Blick.
»Ciao, Ma.«
»Ciao, Mau. Wie fühlst du dich?«
»Weiß nicht. Benommen, glaube ich. Habt ihr diesen Mistkerl Matteo gefunden? Und Monica?«
»Nein, Mau. Die Fahndung läuft, aber es ist nicht so leicht, sie zu finden, ohne jeden Hinweis. Sie könnten überall sein. Hast du eine Idee?«
»Nein. Es war alles ein solches Durcheinander, totales Chaos.«
»Jetzt erzähle erst einmal der Reihe nach. Und dieses Mal will ich keine Lügen hören.«
»Ich und Moni sind wieder zusammen, seit Ende des Sommers.«
Sie sagte nichts, sondern wartete, dass er fortfuhr.
»Sie kam zu mir zurück. Das mit Habib war wohl nie was Ernstes, hat sie zumindest behauptet. Und dass sie immer nur mich geliebt hat. Ich habe ihr geglaubt. Wir waren sehr glücklich, eine Zeitlang. Aber dann habe ich erfahren, dass sie häufig ins Anatra azzurra ging, auch hinter meinem Rücken. Sie
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