Schnee an der Riviera
beschränkt?«
»Nein, ich fürchte, er nimmt auch Kokain.«
»Und die anderen? Francesco Bagnasco? Mein Sohn? Was wissen Sie über die?«
Maura Brocca sah sie ernst an.
»Sie haben wohl ab und zu einen Joint geraucht, so wie viele andere auch.«
Sie machte eine Pause.
»Und wie manche von uns, als wir in deren Alter waren«, schloss sie gelassen.
»Hat Habib sie damit versorgt?«
»Da bin ich überfragt. Aber an diese Dinge ranzukommen ist ja nicht schwer. In letzter Zeit hatte Habib ... er war seltsam, irgendwie abwesend. Es war etwas in seinem Blick. Angst, würde ich sagen. Vor drei oder vier Tagen habe ich mit ihm gesprochen, aber er ist mir ausgewichen. Er hat gesagt: ›Ich kann sehr gut auf mich selbst aufpassen, Signora, machen Sie sich um mich keine Sorgen. Aber würden Sie sich um meine Schwester kümmern, sollte mir etwas zustoßen? Vielleicht könnten Sie dafür sorgen, dass sie in ein Internat kommt und nicht dort aufwächst, wo ich aufgewachsen bin?‹«
»Hatten Habib und Mau in der Klasse noch Kontakt?«
»Schwer zu sagen. Habib hatte die Rolle des Antihelden eingenommen. Wenn er nicht einschlief, war er aufgekratzt und aggressiv, redete dauernd dazwischen, witzelte rum, deshalb haben meine Kollegen dafür gesorgt, dass er die Schule verlässt. Aber ich ...«
Sie rang nach Worten.
»Ich habe in all diesen Jahren schon so viele abstürzen sehen. Jemand muss sie auffangen. Und die Schule ist der einzige Fixpunkt in Habibs Leben. Ein außergewöhnlich heller Kopf. Selbst Signora Galli hat ihm eine besondere Gabe für Mathematik bescheinigt. Eigentlich gehöre er auf ein wissenschaftliches Gymnasium und dann zum Mathematikstudium an die Uni, hat sie mal gesagt. Sie kennen sie, aus ihrem Mund ist das das höchste Lob.«
»Ja, ich kenne sie«, bemerkte Nelly knapp.
Dr. Cornelia Galli war das fleischgewordene Klischee der schrecklichen, gefühl- und phantasielosen Mathelehrerin. An einem musischen Gymnasium konnte sie sich nicht so recht ausleben, was sie noch verbissener und biestiger werden ließ. Für die meisten war sie schlicht ein Albtraum, und die, die in ihrer Gunst standen, konnte man an einer Hand abzählen. In ihren Augen war Mau völlig minderbemittelt und nicht würdig, die Schwelle einer Oberschule zu überschreiten. Mau wiederum hatte sich nie bemüht, seine schulischen Fähigkeiten hervorzukehren. Zeichnen und malen konnte er allerdings wie ein Gott. In allen anderen Fächern, Italienisch und Kunstgeschichte ausgenommen, riskierte er jedes Jahr durchzufliegen.
»Wie geht es Dottoressa Galli? Gestern war sie noch im Koma.«
»Ja, allerdings in einem leichten Koma. Die Ärzte sagen, momentan bestehe keine ernsthafte Gefahr. Ich kann es kaum erwarten, ihre Version des Tathergangs zu hören.«
Nelly hätte sich ohrfeigen mögen. Manchmal rutschte ihr ein Polizeislang raus, der ihr sofort todpeinlich war.
»Ich glaube, Habib arbeitet für jemanden. Abends kellnert er in einem Lokal in der Via della Maddalena, im Anatra azzurra , sagte er mal, um ein bisschen Geld zu verdienen. Allerdings glaube ich nicht, dass er sich seine Designerklamotten vom Kellnern leisten kann. Auch deshalb ist er morgens ständig müde und fehlt oft. Aber er ist dermaßen intelligent, dass er vielleicht trotzdem nicht sitzenbleibt. Was sein Verhältnis zu Mau angeht, ich glaube nicht, dass sie noch befreundet sind, aber mit Franci verstand er sich gut. Franci war ein so lieber Junge. Ein Engel.« Sie schwieg betroffen.
»Und was ist mit den anderen Schülern?«
»Da ist noch Monica Pittaluga. Offenbar war sie mal mit Habib zusammen, aber ob sie das immer noch ist, kann ich nicht sagen. Sie weiß vielleicht mehr über ihn, aber sie ist ziemlich zurückhaltend, verschlossen geradezu. Wie könnte es auch anders sein, bei einer Pittaluga, die einen Habib frequentiert?«
Natürlich, dachte Nelly, die kleine Pittaluga mit der goldblonden rückenlangen Mähne und den grünen Augen, die mit Franci und Mau bei den Pfadfindern gewesen war. Maus Schwarm in der Mittelschule und im ersten Gymnasiumsjahr. Er hatte mit ihr Schluss gemacht, weil ... ja, wieso eigentlich? Oder hatte sie mit ihm Schluss gemacht? Nelly musste sich schmerzhaft eingestehen, dass sie sehr wenig über ihren Sohn wusste. Zu wenig. Monica stammte aus guter, nein, aus sehr guter Familie. Sehr reich und sehr katholisch. Fast so eine Art Adel. Krachend konservativ. Sie sah Monicas unerbittlich britisch gekleidete Mutter vor sich, die ihre
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