Schnee an der Riviera
paar seiner Kollegen zusammen. Soeben waren sie mit der Durchsuchung der Schule fertig geworden.
»Und, was gefunden?«
»Nein, nichts.«
»Kein Gras, keine harten oder weichen Drogen, nicht das winzigste Briefchen?«
»Gar nichts, Dottoressa. Wir haben die ganze Schule umgekrempelt, vom Keller bis zum Dach. Auch unten, wo der Junge aufgeprallt ist, das ganze Gebüsch drum herum bis zu den Schienen der Standseilbahn, mit und ohne Hunde. Hier ist nicht der kleinste Fitzel.«
Wie bitte? Franci war wegen ein paar Joints ums Leben gekommen, von denen es jetzt nicht die geringste Spur gab? Wo waren die geblieben? In den Taschen hatte er nichts, im Rucksack ebenso wenig, um den Hals nur ein orientalisch anmutendes Medaillon, das etwas hätte enthalten können, doch es war leer, und auch Mau hatte nichts Verdächtiges am Leib gehabt, die Beamten hatten ihn minutiös durchsucht. Die Sache stank immer mehr. Wenn es Joints oder Drogen gegeben hatte, wer hatte sie verschwinden lassen? Und wie?
Nelly und Privitera entließen den Fahrer und stiegen die steile Salita Bertani Richtung Stadt hinab, vorbei am herrlichen Park der Villetta Di Negro mit seinen Grotten und dem in der Steinwüste der Genueser Innenstadt so seltenen Grün. Die Salita mündete in die Piazza Corvetto, deren vollkommenes Rund so typisch für den optimistischen bürgerlichen Zeitgeist des ausgehenden neunzehnten Jahrhunderts ist, als die Stadt zum ersten Hafen des neuen italienischen Königreiches aufstieg und vor Gewerbe und Schiffswerften nur so strotzte. Inzwischen versank der immer noch schöne Platz im Verkehrschaos, und sein wahres Gesicht war allenfalls noch zu erahnen. Nelly hatte ein paar Drucke vom Anfang des letzten Jahrhunderts gesehen, mit ein paar vereinzelten Straßenbahnen darauf, ein oder zwei Autos und Passanten, die gekleidet waren wie ihr Großvater als junger Mann, mit Strohhut und Spazierstock, Frauen in bodenlangen Kleidern und großen, federn- und schleifengeschmückten Hüten. Für jene Welt war dieser Platz gebaut worden, damals hatte er noch frei atmen und seine ganze Eleganz entfalten können. Die modernen Zeiten und der Verkehr erstickten ihn. Doch nicht nur die verpestete Luft, die an diesem schwülen Tag über der Stadt lastete, nahm der Kommissarin den Atem.
War es eine fixe Idee von ihr, dass da noch mehr unter der Oberfläche brodelte, oder verbarg sich da tatsächlich etwas? In was für einem Verhältnis hatten Mau, Franci und Habib in letzter Zeit gestanden? Und die Mädchen, Monica Pittaluga und ihre Freundin Miriam, was für eine Rolle spielten die in der ganzen Sache? Keiner hatte ihr dazu etwas Genaues sagen können.
Schweigend und in Gedanken versunken, gingen die beiden Beamten nebeneinanderher. Privitera war Mitte dreißig, mittelgroß und ziemlich hager. Er hatte dunkle, durchdringende Augen, die er vielleicht deshalb meist gesenkt hielt. Sein Blick verunsicherte die Leute, und so setzte er ihn nur ein, wenn es unbedingt nötig war, wie eine Geheimwaffe. Ebenso sparsam und präzise gebrauchte er seine Worte. Nelly hielt große Stücke auf ihn. Einmal hatte er ihr sogar das Leben gerettet. Niemals hätte er sich erlaubt, etwas zu sagen, wenn seine Vorgesetzte schwieg. Also machte Nelly den Anfang.
»Verrückt, findest du nicht? Was hältst du von der Sache, Gerolamo?«
»Alles andere als eindeutig.«
Das war alles, was Privitera dazu zu sagen hatte. Für den Rest des Weges schwieg er. Nelly bohrte nicht nach. Sie kannte ihn: offensichtlich hatte er dem nichts mehr hinzuzufügen. Inzwischen hatten sie die Salita Santa Caterina und die Piazza Fontane Marose hinter sich gelassen und die düstere, modrige Gasse erreicht, in der Habib wohnte.
Habibs Wohnung, wenn man sie denn so nennen mochte, war eine Art ehemaliger Lagerraum zu ebener Erde mit einem winzigen Klo auf der Rückseite. Der Raum war recht groß, und als die dunkelhaarige Frau die Tür öffnete, fiel Nelly als Erstes der offensichtlich ziemlich wertvolle Teppich ins Auge, der den nackten Betonboden bedeckte. Teppiche waren eine von Nellys zahlreichen heimlichen Schwächen. Es war ein dunkelroter, klassisch gemusterter Buchara, womöglich ein Einzelstück. Er mochte vier- oder fünftausend Euro wert sein. Ein Familienstück? Er sah antik aus. Sie war von dem Teppich derart eingenommen, dass sie beinahe nicht gehört hätte, was Habibs Mutter sagte, die wie angewurzelt in der Tür stand und keine Anstalten machte, sie hereinzulassen. Mit
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