Schnee an der Riviera
nicht sein, davon hat sie bestimmt nichts gesagt, sie will nicht, dass das rauskommt.«
Miriam biss sich sofort auf die Zunge.
»Ich meine, das kann gar nicht sein, dass sie so was gesagt hat, weil’s nicht wahr ist. Habib, so was Absurdes! Natürlich ist der verknallt in sie, aber schließlich sind alle in Monica verknallt, selbst der arme Franci war’s.«
Wieder hielt sie inne, unsicher, ob sie zu viel oder zu wenig gesagt hatte. Besonders fix in der Birne schien die Kleine nicht zu sein. Nelly spitzte die Ohren.
»Franci war in Monica verliebt?«
Miriam zuckte die Achseln.
»Das hab ich nur so gesagt. Vielleicht war er in sie verschossen, er versuchte jedenfalls, bei ihr zu landen, aber da war er nicht der Einzige. Nur Mau ...«
»Nur Mau was?«
Miriam begriff, dass sie jetzt besser den Mund hielt.
»Nur Mau verstand sich mit ihr nicht besonders. Die sind einfach zu verschieden«, sagte sie kategorisch.
Tatsächlich war nichts mehr aus ihr herauszubekommen, und mit der Entschuldigung, sie habe Kopfschmerzen, was die Mutter sehr beunruhigte, bat sie darum, gehen zu dürfen.
»Sie wirkt so gesund und kräftig, aber in Wirklichkeit ist sie sehr fragil, wissen Sie.«
Ein Schatten fiel über Signora Fallaris schönes, ebenmäßiges Gesicht.
»Eine einzige Tochter, und so viele Sorgen! Und dann hat sie schon immer diese Minderwertigkeitskomplexe gehabt, wegen der Figur, verstehen Sie, dabei sage ich ihr immer wieder, viele Mädchen sehen so aus, wenn sie jung sind, und später werden daraus manchmal sogar Topmodels, in ihrem Alter war ich auch kräftig, und ein paar Jahre später konnte ich mich vor Verehrern nicht mehr retten. Zum Glück gibt es Monica, seit die beiden richtig befreundet sind – kennen tun sie sich seit einer Ewigkeit, aber vorher war es nur eine oberflächliche Bekanntschaft –, ist im Leben meiner Tochter die Sonne aufgegangen. Sie schminkt sich, lacht, geht abends öfter weg, besucht Partys ... kürzlich ist sie mit ihr sogar zu einem Geburtstagsfest in einer Kneipe in der Altstadt gegangen, eine Studentenkneipe, den Namen hab ich vergessen. Ich bin froh, wenn sie ausgeht, in ihrem Alter sollte man sich amüsieren, meinetwegen könnte sie jeden Abend weggehen, sie muss ihre Erfahrungen machen, ich sehe das nicht so wie gewisse Genueser Familien.«
Privitera musterte die Beine der Signora, die das nicht im Geringsten zu stören schien. Nelly fand, es sei Zeit, sich zu verabschieden.
»Und, Gerolamo?«, fragte sie auf dem Rückweg durch den noch dichteren Feierabendverkehr.
»Die Kleine deckt die andere, wie man so schön sagt. Bei der Kneipe handelt es sich möglicherweise ums Anatra azzurra . Mit dieser Miriam hat die kleine Pittaluga praktisch rund um die Uhr einen Freibrief.«
»Ganz genau.«
Mit einem Minimum an Worten hatte Gerolamo es mal wieder auf den Punkt gebracht.
»Morgen Abend gehen wir beide ins Anatra azzurra . Komischer Name übrigens, ›Blaue Ente‹ ... Heute Abend möchte ich aber erst noch mal mit meinem Sohn reden.«
»Okay.«
Obwohl er eine Frau und zwei kleine Kinder hatte, zierte Privitera sich bei Überstunden nie. Er zierte sich sowieso nie, wenn es um die Arbeit ging. Und Nelly hatte blindes Vertrauen in ihn.
ZWEITER TAG
Abend
Im spärlichen Licht einer Lampe saß Mau auf der Terrasse und zeichnete. Er zeichnete Francis Gesicht. Er war so darin versunken, dass er sie nicht kommen hörte. Nelly konnte den Schmerz ihres Sohnes förmlich greifen. Doch sie ließ sich davon nicht erweichen. Mau hatte ihr zu viel verheimlicht, und womöglich verbarg er noch mehr vor ihr.
»Ciao, Mau.«
»Ciao, Ma.«
»War Franci in Monica verliebt?«
Er drehte sich um und sah sie verdutzt an.
»Was tut denn das zur Sache, Mann?«
»Das kann dir völlig schnuppe sein. Ist es wahr?«
Mau fühlte sich sichtlich unwohl.
»Also schön, wenn du’s genau wissen willst, er hatte eine Schwäche für Moni. Aber daran war Monica schuld, die ... die ist Expertin im Köpfeverdrehen. Wenn sie will, ist die ’ne echte Bombe.«
»Und was ist mit dir? Wieso hattet ihr nichts mehr miteinander zu tun?«
»Du bist ganz schön neugierig. Was ist mit dem Gesetz zum Schutz der Privatsphäre?«
»Ich fürchte, das gilt für Bullen nicht.«
»Schon klar. Na ja, Monica war ... ist ... die sagt das eine und macht dann das andere. Sie erzählt ständig Scheiße, das ist fast schon pathologisch. Und außerdem benutzt sie die Leute, sie nutzt sie aus. Die macht voll auf nettes
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