Schnee an der Riviera
Möglicherweise gehörte der Kerl zu der Gang, die Habib und vielleicht auch Franci mit Stoff versorgte. Auch wenn er’s dir nicht gesagt hat, irgendwie hing dein Freund da mit drin. Deswegen ist er an dem Morgen abgehauen. Aber das erklärt nicht den Rest der Geschichte.«
»Das ist unmöglich. Nicht Franci. Du kanntest ihn doch, wie kannst du ...«
»Ich dachte eigentlich, ich würde dich besser kennen als ihn, Mau. Aber ich frage mich, wen ich überhaupt richtig kenne.«
Mau wurde brandrot und schaute zu Boden.
»Du traust mir nicht mehr«, sagte er leise.
»Genau so ist es, mein Sohn«, sagte sie fest.
»Dann glaubst du mir eben nicht! Aber ich will nicht weg von hier. Ich will hierbleiben und eure verdammten Ermittlungen verfolgen. Ich will wissen, was hinter dieser verfluchten Geschichte steckt, die Franci das Leben gekostet hat, kapierst du?«
»Ein Sicherheitsbeamter wird dich aufs Land zu Onkel und Tante bringen. Das darf niemand wissen.«
Rot vor Zorn riss Mau den Kopf hoch und starrte sie an.
»Du hast kein Recht, mich wie ein Kleinkind zu behandeln. Ich bin erwachsen. Und was ist mit der Schule? Die ist dir doch sonst so verdammt wichtig, immer gehst du mir damit auf die Ketten!«
»Du nimmst deine Bücher mit. Und du wirst tun, was dein Begleiter dir sagt, ohne Diskussionen. Ich werde dich nicht besuchen kommen, wir bleiben auf anderem Weg in Kontakt. Eine Sache noch: Kennst du das Anatra azzurra ?«
»Klar, wer kennt das nicht. Da gehen Schüler hin, Angestellte, Snobs, Freaks, ’ne bunte Mischung eben. Das Ding ist total angesagt. Da wird gekifft, mehr weiß ich nicht. Man hört Musik, isst Panini, Pizza, Suppen, Grünzeug und so weiter und trinkt alles von der Cola aufwärts. Netter Laden, zumindest für ein bestimmtes Publikum. Wer will, kann in einem Nebenraum selbst Musik machen.«
»Warst du da oft?«
»Hin und wieder schon. Wenn ich das Geld dazu hatte. Ist nicht ganz billig.«
»Aber manchmal hilfst du doch bei Luigi aus. Ein bisschen was verdienst du schon.«
»Na ja, ein paar Kröten hab ich, aber bestimmt nicht genug, um ständig ins Anatra azzurra zu gehen. Und außerdem geh’ ich lieber ins Jugendzentrum, ins Zapata zum Beispiel. Da läuft gute Musik, und die Atmosphäre dort ist eher mein Ding. Da sind Leute, die was in der Birne haben, man quatscht über alles, über Themen, die uns alle angehen. Aber Monica, die fährt total aufs Anatra azzurra ab. Soweit ich weiß, arbeitet Habib dort. Ich glaub, Franci war ein paar Mal da, zwei oder drei Mal mit mir. Du weißt ja, seine Alten sind ziemlich streng.«
»Ich dagegen nicht. Ich war der Depp vom Dienst, der nichts Böses ahnt und alles durchgehen lässt.«
»Du hast es immer richtig gemacht. Du warst weder zu streng noch nachlässig. Und außerdem bin ich inzwischen volljährig.«
»Versuch nicht, dich einzuschmeicheln, Mau. Ich hab dir vertraut. Ich hatte vergessen, wie ich in deinem Alter war. Oder vielleicht ist es auch nur bequem, gutgläubig zu sein und nicht hinzusehen.«
»Bitte schick mich nicht fort, Mama. Nicht jetzt. Ich bin auch bereit, die Konsequenzen zu tragen. Immerhin hänge ich da auch irgendwie mit drin.«
»Ganz genau. Du hängst mit drin, und damit bist du in Gefahr. Komm, lass uns schlafen gehen. Ich bin fix und fertig, und morgen gibt’s ’ne Menge zu tun.«
DRITTER TAG
Morgen
Am nächsten Tag standen Nelly und Mau in aller Herrgottsfrühe auf und fuhren seinen wütenden Protesten zum Trotz schnurstracks ins Präsidium. Esposito machte wegen des Personenschutzes keinerlei Schwierigkeiten, denn die Geschichte mit dem falschen Polizisten war äußerst bedenklich, und die ganze Sache fing an, eine ungute Wendung zu nehmen. Auch die Zeitungen gaben keine Ruhe.
Die Wahl des Begleiters fiel auf Veronica Peroni, sechsunddreißig Jahre, aus der Toskana. Eine fähige, energische Frau. Nachdem Mau zahllose Fahndungsfotos durchgesehen und niemanden erkannt hatte, stieg er um zehn Uhr in einen Wagen und wurde von Veronica auf dem schnellsten Weg nach Castagnole gebracht. Die Verwandten waren informiert und wussten, wie sie sich zu verhalten hatten. Nelly atmete erleichtert auf. Jetzt konnte sie sich wieder frei und sicher bewegen. Sie rief in der Schule an und ließ wissen, dass Mau wegen des Schocks auch nach der Wiedereröffnung der Schule am kommenden Montag rund zwei Wochen fehlen würde. Der Direktor hatte Verständnis.
»Ein neutraler Ort wäre besser gewesen, Commissario. Für den Jungen,
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