Schnee an der Riviera
Dienstmarke hervor. »Polizei«, sagte sie knapp. »Wo können wir uns unterhalten?«
Ninos Augenbrauen rutschten fast bis zum Haaransatz, doch er sagte keinen Ton. Mit einer Kopfbewegung forderte er sie auf, ihm zu folgen, und geleitete sie durch zwei weitere Gasträume voll Stimmengewirr und Gläserklirren in ein Kabuff, das fast vollständig von einem alten Schreibtisch samt Computer und ein paar Polsterstühlen eingenommen wurde. An den Wänden ein paar Regale und ein Poster von den Malediven. Er bedeutete Nelly und Gerolamo, Platz zu nehmen, verschanzte sich hinter dem Tisch und zündete sich einen Zigarillo an.
»Kommt ihr von Santangelo? Der hat mir doch schon letzte Woche seinen neuen Gehilfen vorbeigeschickt. Hier ist alles in Ordnung, alles nach Vorschrift ...«
Nelly runzelte überrascht die Stirn. Eine Routinekontrolle?
»Niemand schickt uns. Das hier ist keine der üblichen Drogenkontrollen.«
Nino atmete sichtlich erleichtert auf.
»Kennen Sie einen Jungen namens Habib Kamali?«
Keine nennenswerte Reaktion. Nelly meinte nur ein flüchtiges Aufblitzen in seinen Augen wahrzunehmen, doch vielleicht spielten ihr die Lichter aus dem angrenzenden Gastraum einen Streich.
»Klar kenne ich den. Der arbeitet fast jeden Abend hier, aber seit drei Tagen habe ich ihn nicht mehr gesehen. Nicht mal angerufen hat er, um Bescheid zu sagen.«
»Das wird er auch nicht mehr. Er ist tot.«
»Tot?«
Das überraschte Entsetzen schien echt zu sein.
»Und woran ist er gestorben?«, fragte er, sobald er sich wieder im Griff hatte.
»Jedenfalls nicht an Masern, sonst wären wir nicht hier.«
Gerolamos Stimme klang brüsk. Im Halbdunkel hatte sein Gesicht mit den glühenden dunklen Augen etwas Beängstigendes. Es erstaunte Nelly, dass er etwas gesagt hatte.
»Er ist ermordet worden«, fügte sie hinzu.
»Ermordet ...«, wiederholte Nino mechanisch. Falls er bluffte, dann war er ein großartiger Schauspieler. Sein Unterkiefer klappte herunter, er riss die Augen auf, seine ganze Mimik drückte waschechte Bestürzung aus. Vor allem wurde er blass. Bestürzung konnte man vortäuschen, aber die Gesichtsfarbe ... Und es war nicht nur der Schock, er schien ehrlich betroffen zu sein.
»Habib, umgebracht? Und von wem? Ich kann es nicht fassen, ein so netter Junge ... so hübsch ...«
»Vielleicht können Sie uns helfen, seinen Mörder zu finden, Nino. Oder vielleicht wissen Sie ja, wer es war?«
»Ich? Woher soll ich das wissen? Ich mochte diesen Jungen wirklich gern. Ein echtes Goldstück, pünktlich, fleißig, bei den Gästen beliebt ...«
»Vielleicht ein bisschen zu beliebt«, bemerkte Nelly und dachte daran, wie Habib seiner Lehrerin zufolge sein Taschengeld aufgebessert hatte.
»Was wollen Sie damit sagen, Commissario? Das hier ist ein anständiges Lokal, hier gibt’s keine krummen Sachen.«
»Das habe ich auch nicht gesagt. Wie kommen Sie darauf? Allerdings gibt es Leute, die behaupten, Habib habe sich prostituiert. Wissen Sie etwas darüber?«
Nino fühlte sich sichtlich unwohl. Gereizt rutschte er auf seinem Stuhl herum.
»Ich hab mich bestimmt nicht darum gekümmert, was der Bengel außerhalb seiner Arbeitszeiten gemacht hat, es ging mich auch nichts an. Soweit ich weiß, hatte er eine Freundin. So ’ne farblose Blonde mit grünen Augen, die einen auf Vamp gemacht hat«, fügte er bissig hinzu.
»Kennen Sie sie?«, fragte Nelly hellhörig.
»Soweit ich weiß, heißt sie Miriam. Sie kam hin und wieder mit einer Freundin hierher, die wohl Monica heißt.«
Die beiden Mädchen tauschten also Namen. Warum bloß? Spiel oder Täuschung? Sie durfte nicht vergessen, bei nächster Gelegenheit Monica danach zu fragen.
»Wann haben Sie Habib das letzte Mal gesehen?«
»Ich dachte, das hätte ich schon gesagt. Vor drei oder vier Tagen. Lassen Sie mich mal überlegen: Der Abend, an dem er nicht aufgetaucht ist, war der, bevor dieser Irrsinn an seiner Schule passiert ist, und er hat noch nicht mal angerufen, um Bescheid zu geben. Eigentlich seltsam. Er rief immer an, wenn er nicht kommen konnte. Ich erinnere mich so genau, weil wir hier eine riesige Geburtstagsgesellschaft hatten und ich sauer geworden bin. Aber er hat sich nicht blicken lassen. Auch an den vergangenen Abenden haben wir immer auf den letzten Drücker Ersatz für ihn finden müssen. Ich hab versucht, ihn auf dem Handy zu erreichen, aber erfolglos.«
»Er hätte wohl kaum drangehen können. Wie war denn der letzte Abend, an dem er hier war? Ist
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