Schnee in Venedig
fettige Locke auf seinem kahlen Schädel rutschte nach vorne.
«Sie meinten also, es entspräche Ihren Gastgeberpflichten zu verhindern, dass dieser Mord mit Ihrem Maskenball in Verbindung gebracht werden würde?»
Tron nickte. «Wir wollten vermeiden, dass womöglich noch unsere Gäste vernommen werden. Jetzt sehe ich, dass das ein Fehler war.» Tron starrte zerknirscht auf die Tischplatte.
«Haben Sie nicht damit gerechnet, einer Patrouille zu begegnen?», fragte Oberleutnant Bruck.
Tron hob die Schultern. «Es waren ja nur ein paar hundert Schritte.»
Oberleutnant Bruck schüttelte traurig den Kopf. «Sie haben uns um die Möglichkeit gebracht, den Tatort auf Spuren zu untersuchen.»
«Der Oberst wurde nicht auf der Ramo Tron ermordet.»
«Woher wissen Sie das?»
«Der Mörder hat Oberst Pergen die Kehle durchgeschnitten. Auf dem Schnee hätten sich Blutspuren gefunden. Da wir keine gesehen haben, ist davon auszugehen, dass der Mord irgendwo anders geschehen ist und man die Leiche nur vor den Palazzo Tron gelegt hat.»
Oberleutnant Bruck zog die Augenbrauen zusammen.«Sie behaupten, der Mörder hätte die Leiche Pergens durch den Schnee gezogen, um sie vor den Palazzo Tron zu legen? Was ergäbe das für einen Sinn?»
«Es lenkt den Verdacht in eine falsche Richtung», sagte Tron.
«Und in welche falsche Richtung?»
«Die falsche Richtung ist der Palazzo Tron.»
Bruck nickte. «Ich verstehe. Also haben Sie, nachdem Sie festgestellt hatten, dass der Mörder eine falsche Spur legen wollte, indem er die Leiche des Obersts vor dem Palazzo Tron deponierte – also haben Sie beschlossen, diese Irreführung zu korrigieren.»
«So könnte man es ausdrücken. Auf jeden Fall haben wir die Leiche von Oberst Pergen nicht vom Tatort entfernt. Denn der Tatort lag woanders.»
«Wo vermuten Sie den Tatort?»
«Ich weiß es nicht», sagte Tron. «Es gab Schleifspuren, die in Richtung der Riva di Biasio gingen.»
«Sie fassten den Entschluss und gingen sofort an seine Ausführung – ohne über die Folgen nachzudenken. Habe ich Sie da richtig verstanden?»
Tron nickte. «Ja, so könnte man es sagen.»
«Und das Bettlaken? Das hatten Sie zufällig bei sich?»
«Das haben wir vorher geholt.»
«Auch die Kordel, die Sie um das Laken gewickelt haben?»
«Auch die Kordel.»
«Eben sagten Sie noch, Sie hätten die Leiche von Oberst Pergen entdeckt und ihn, ohne nachzudenken, weggeschleppt. Sie hatten angedeutet, dass Sie den Kopf verloren haben, als Sie die Leiche des Obersts entdeckten. Jetzt stellt sich aber heraus, dass Sie offenbar doch über Ihr Vorhaben nachgedacht haben.» Bruck lächelte. «Ich nehme an, Siesind nicht selber gegangen, sondern haben Signor da Ponte in den Palazzo geschickt, um das Laken und die Kordel zu holen, ist das richtig?»
Tron nickte.
«Um vom Ramo Tron in den Palazzo zu kommen, müssen zwei Innenhöfe durchquert und ein großes Treppenhaus erstiegen werden. Wie lange, denken Sie, dauert das?»
«Vielleicht fünf Minuten.»
«Also hatten Sie zehn Minuten Zeit, darüber nachzudenken, ob es eine gute Idee war, die Leiche des Obersts wegzutragen oder die Militärverwaltung zu benachrichtigen.»
«Darüber habe ich gar nicht nachgedacht.»
«Und worüber haben Sie in diesen zehn Minuten nachgedacht, Commissario?»
«Darüber, wer den Oberst getötet haben könnte.»
«Haben Sie einen Verdacht?»
«Es muss jemand gewesen sein, der vor dem Palazzo auf den Oberst gewartet hat. Er hat ihn dann verfolgt und getötet.»
«Meinen Sie nicht, wir wären selber darauf gekommen, dass der Mord woanders geschehen ist, wenn es keine Blutspuren im Schnee gab? Haben Sie so wenig Vertrauen in die Ermittlungsfähigkeiten des Militärs gehabt?»
Tron hatte jetzt den Eindruck, dass sich Oberleutnant Brucks Tonfall geändert hatte. Seine Stimme klang schärfer, und auch das, was er sagte, die Art, wie er seine Frage stellte, war weniger konziliant, fast misstrauisch.
«So würde ich das nicht sagen.»
«Wie würden Sie es denn sagen?»
«Ich … dachte, ich könnte die Situation besser beurteilen als die Offiziere, die ermitteln würden.»
Oberleutnant Bruck schüttelte den Kopf. «Ich glaube, Sie haben deshalb die Militärbehörden nicht eingeschaltet, weilSie zu
viel
Vertrauen in die Ermittlungsfähigkeiten des Militärs hatten.»
«Ich verstehe nicht, worauf Sie hinauswollen, Herr Oberleutnant.»
Oberleutnant Bruck stand auf. Er ging auf das Waschbecken zu, warf einen flüchtigen Blick
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