Schnee in Venedig
stockdunkel draußen, und es schneit. Man könnte alles Mögliche durch die Gegend tragen, ohne dass es jemand bemerkt.»
Tron stellte das Glas, das er in der Hand hatte, auf den Altar. «Moment mal. Du meinst, wir sollten Pergen …»
«Genau das meine ich. Schafft ihn raus und legt ihn vor den Palazzo Pesaro.»
«Das ist nicht dein Ernst», sagte Tron.
Die Contessa funkelte ihn wütend an. «Jetzt hör mal zu, Alvise. Dieser Maskenball war der beste Maskenball seit Jahrzehnten. Wir hatten drei Herzöge zu Gast, den französischen Kronprätendenten und die Kaiserin von Österreich. Meinst du, ich habe Lust, mir das verderben zu lassen?» Sie zögerte, bevor sie weitersprach. «Abgesehen davon gibt es eine noch bessere Möglichkeit, den Oberst loszuwerden. Wann ist Flut?»
«In knapp einer Stunde ist der höchste Wasserstand.»
«Das könnte die Sache erleichtern.» Die Augen der Contessa glänzten im Widerschein der Kerzen. Einen Augenblick schien sie zu lächeln.
«Würdest du uns bitte verraten, was du meinst?», fragte Tron.
«Wenn ihr Pergen in den Canalazzo werft», sagte die Contessa ruhig, «zieht ihn die Ebbe in die Lagune.»
«Es gibt nachts wieder Militärpatrouillen. Wenn die mich mit der Leiche Pergens erwischen, bin ich erledigt.»
«Stell dich doch nicht so an, Alvise. Die hört ihr rechtzeitig.»
Tron schüttelte den Kopf. «Das kann ich nicht machen.»
«Ich denke, du willst nicht, dass man dich mit der Leiche Pergens erwischt. Aber genau darauf läuft es hinaus, wenn Pergen hier liegen bleibt.»
Alessandro sagte: «Dann mache ich das. Alvise wischt das Blut auf, und ich bringe Pergen weg. Die Contessa hat Recht, Alvise. Es ist stockdunkel, und um diese Zeit wird mir niemand begegnen.» Er schürzte einen Moment lang nachdenklich die Lippen. Dann sagte er: «Aber eins verstehe ich nicht.»
«Was?», fragte Tron.
«Ich verstehe nicht», sagte Alessandro langsam, «warum der Mörder Oberst Pergen nicht draußen getötet hat. Er hätte nur vor der Tür auf ihn warten müssen. Den Oberst in der Kapelle zu töten war leichtsinnig. Es hätte jederzeit jemand hereinkommen können.»
«Vielleicht hat er einen ganz bestimmten Grund gehabt, dieses Risiko einzugehen», sagte Tron.
Die Contessa hob die Augenbrauen. «Und was für ein Grund wäre das?»
Tron sah seine Mutter an. Auf einmal spürte er, wie ihm die Kehle eng wurde. «Du hattest Recht mit dem, was du eben gesagt hast. Wenn Pergen hier liegen bleibt, erwischt man mich mit seiner Leiche. Und genau das wollte der Mörder.»
«Dass man dir den Mord in die Schuhe schiebt?»
«Mich verhaftet und womöglich nach Verona überführt. Mich daran hindert, ihn zu stellen.»
Alessandro fragte: «Willst du damit sagen, dass du jemanden im Verdacht hast?»
Tron nickte. «Ja, das habe ich.» Er war unfähig, die Besorgnis aus seiner Stimme herauszuhalten, als er weitersprach. «Und ich befürchte, dass er es weiß. Mir ist völligschleierhaft, wie er es erfahren hat, aber er weiß es. Es gibt keine andere Erklärung dafür, dass er den Mord hier in unserer Kapelle begangen hat.»
«Und das bedeutet?», fragte Alessandro.
Dass Haslinger mich aus dem Weg schaffen will, dachte Tron. Dass ihn niemand daran hindern wird, sich mit der Principessa zu befassen, wenn ich verhaftet worden bin.
Es sei denn, er tat etwas, was Haslinger nicht erwartet hatte. Zum Beispiel dafür sorgen, dass die Leiche Pergens erst nach ein paar Tagen entdeckt wurde. Indem man sie irgendwo aus der westlichen Lagune fischte.
Tron zuckte mit den Schultern. «Das bedeutet, dass wir Pergen loswerden müssen», sagte er laut.
Er öffnete das Fenster und streckte die Hand hinaus. Die Contessa hatte Recht. Es war stockdunkel und es schneite. Er drehte sich um.
«Wir machen es zusammen», sagte er. «Wir wickeln Pergen in ein Tischtuch und bringen ihn an die Riva di Biasio.»
52
Zuerst wickelten sie den Oberst in ein Tischtuch. Dann fiel ihnen auf, dass alle Tischtücher mit dem Wappen der Trons bestickt waren. Also wickelten sie Pergen wieder aus und benutzten ein Bettlaken. Tron hatte gehofft, dass das Paket wie ein Teppich aussehen würde, aber am Ende sah das Bündel genau so aus, wie es nicht aussehen sollte, nämlich wie eine eingewickelte Leiche.
Auf den Pflastersteinen der kleinen Gasse hinter dem Palazzo Tron war es fast vollständig dunkel. Zwar dämpfte derSchnee das Geräusch ihrer Schritte, aber Tron machte sich Sorgen wegen der Spuren, die sie im Schnee
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