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Schnee in Venedig

Schnee in Venedig

Titel: Schnee in Venedig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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in den Spiegel und strich mit der rechten Hand über seine widerspenstige Locke. Dann kam er zurück und setzte sich wieder. «Ich will darauf hinaus, dass Sie möglicherweise nicht das geringste Interesse daran hatten, die Ermittlungsarbeiten der Militärbehörden zu unterstützen», sagte er. «Jedenfalls ist das der Eindruck von General von Toggenburg.»
    «Und wie kommt General von Toggenburg zu diesem Eindruck?», fragte Tron.
    «Der General glaubt, dass es in dieser Stadt ein Netz von Personen gibt, die vor Hochverrat nicht zurückschrecken. Das Gefährliche der Situation liegt für ihn darin, dass an diesem Netz auch Staatsdiener beteiligt sind.»
    «Wollen Sie damit sagen, ich wüsste, wer Oberst Pergen getötet hat, und hätte mich daran beteiligt, dieses Verbrechen zu verschleiern?»
    «Ich persönlich ziehe gar keine Schlüsse, Signor Tron. Ich stelle lediglich einen Vorbericht zusammen. Dieser Bericht wird weder Folgerungen noch Wertungen enthalten. Lediglich Tatsachen. Die Auswertung dieser Tatsachen ist dann eine Angelegenheit des ermittelnden Beamten.»
    «Ich dachte, Sie würden die Ermittlungen leiten.»
    Oberleutnant Bruck schüttelte den Kopf. «Sie und Signor da Ponte werden nach Verona überstellt. Sie stehen unter Mordverdacht. General von Toggenburg glaubt, dass
Sie
diesen Mord begangen haben. Sie werden diese Nacht in den Bleikammern verbringen und morgen mit dem ersten Zug nach Verona gebracht.»

54
    Tron lag auf einer hölzernen Pritsche und starrte die Decke der Zelle an, in die sie ihn vor einer halben Stunde gesperrt hatten. Aus einer zugeschneiten Dachluke sickerte fahles Licht auf ihn herab. Neben seiner Pritsche standen ein hölzerner Schemel und ein Eimer. Ratten hatte Tron noch nicht gesehen, aber er war sicher, dass es hier welche gab. Als Kind hatte er gehört, dass die Ratten in den Bleikammern so groß werden konnten wie Dackel.
    Aber er befand sich nicht in den Bleikammern. Zwar war die Zelle im obersten Stock des Palazzo Ducale und, der Richtung nach zu urteilen, aus der die Glockenschläge des Campanile kamen, auf der San Marco zugewandten Seite des Dogenpalastes, doch wenn es stimmte, dass die Bleikammern nie modernisiert worden waren und die Beschreibung Casanovas zutraf (eisenbeschlagene Tür von drei Fuß Höhe, in der Mitte ein rundes Loch von acht Zoll Durchmesser), dann hatte man ihn in einem anderen Teil des Dachgeschosses untergebracht. Die Zellentür war eine normale Tür, und in Augenhöhe befand sich anstelle des runden Loches, das Casanova beschrieben hatte, eine hölzerne Klappe.
    Tron nahm an, dass man ihn bis morgen früh in totaler Isolation halten würde. Das gehörte zur Strategie des Mürbemachens   – Gelegenheit für den Gefangenen, ausgiebig über sein Verbrechen und seine Hilflosigkeit nachzudenken. Zeit genug auch, sich ein Glas Wasser, eine Scheibe Brot vorzustellen. Ein Mann, der Hunger und Durst hat, wird irgendwann eine klägliche Dankbarkeit für kleine Gnadenbeweise empfinden. Und dann zeigt er sich meist erstaunlich kooperativ.
    Seit ihn die beiden Soldaten über ein Labyrinth vonTreppen und Korridoren in das Dachgeschoss des Dogenpalastes gebracht und die Zellentür hinter ihm verschlossen hatten, war vom Gang kein Laut mehr zu hören. Tron hatte mehrmals das Ohr an die Tür gelegt, aber jedes Mal war es totenstill gewesen.
    Kein Zweifel, dachte Tron, Haslinger wusste bereits, dass man ihn und Alessandro verhaftet hatte. Kein Zweifel auch, dass Haslinger jetzt, in diesem Augenblick, daran arbeitete, auch die Principessa zum Schweigen zu bringen. Und Haslinger würde sie nicht einfach töten. Er würde sie vor ihrem Tod in seine Gewalt bringen.
    Merkwürdigerweise schlief Tron über dieser Überlegung, die ihm eigentlich den Schlaf rauben sollte, ein. Er schlief ziemlich genau drei Stunden, und als er wieder aufwachte, wusste er, was er zu tun hatte.
    Zuerst stellte er den Schemel auf die Pritsche. Dann kletterte er auf den Schemel und holte tief Atem. Er hob beide Arme, setzte die Hände auf den hölzernen Rahmen der Dachluke und stieß mit aller Kraft zu. Die Luke flog nach oben, als würde sie explodieren. Eine Ladung Schnee stürzte in die Zelle   – Schnee, der nicht klumpig herabfiel, sondern so fein war, dass er auf dem Weg zum Boden zerstäubte.
    Beim ersten Anlauf, sich durch die Luke zu stemmen, blieb Tron mit dem Ärmel seines Mantels an der Pritsche hängen und wäre fast gestürzt. Erst im zweiten Anlauf gelang es ihm, seinen

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