Schnee in Venedig
Wasserglas von seinem Nachttisch, füllt es auf und stellt es wieder hin. Sie entdeckt einen Wasserfleck auf dem Nachttisch und wischt ihn mit einer Serviette auf. Anschließend benutzt sie die Serviette, um ein paar Krümel von der Tischplatte zu fegen.
Tron spürt, dass die Geschäftigkeit der Principessa lediglich ihre Verlegenheit überdeckt: die gleiche Verlegenheit, die ihn daran hindert, die Augen zu öffnen. Schließlich klopft die Principessa, ohne Tron zu beachten, wie eine professionelle Pflegerin sein Bett zurecht und zupft sein Kopfkissen in eine bessere Position. Dann setzt sie sich und sagt in einem Ton, den Tron sich etwas wärmer gewünscht hätte: «Ich weiß, dass Sie wach sind, Conte. Alessandro hat es mir gesagt. Außerdem sehe ich es an Ihrer Atmung. Sie können die Augen ruhig aufmachen.»
Allerdings hat die Principessa jetzt seine Hand ergriffen, und Tron findet, dass sie dabei ziemlich stark zudrückt – so als müsste sie ihn daran hindern zu flüchten, was ja nun wirklich nicht zu befürchten ist.
«Wie geht es Ihnen?»
«Mir geht es besser, als ich aussehe.» Jetzt öffnet Tron die Augen, und das, was er sieht, nimmt ihm den Atem. Die Principessa hat sich leicht über ihn gebeugt. Ihre blonden Haare sind hochgesteckt. Tron kann jede einzelne Sommersprosse auf ihrer Botticelli-Nase erkennen. Eine Strähne hat sich aus ihren Haaren gelöst und fällt über ihre Wange. Ihre grünen Augen blicken mit einem Ausdruck, den Tron nicht deuten kann, auf ihn herab.
«Und Sie sehen wesentlich besser aus als noch vor ein paar Tagen», sagt die Principessa sachlich.
«Wie habe ich denn dann vor ein paar Tagen ausgesehen?»
Die Principessa verzieht ihren Mund zu einem kleinen Lächeln. «Furchtbar. Noch bleicher und noch spitzer um die Nase. Sie haben phantasiert. Krauses Zeugs geredet. Dr. Wagner hat ein ziemlich ernstes Gesicht gemacht.»
«Meine Erinnerungen enden im Palazzo da Mosto. Wie ich auf dem Boden liege und … verblute.»
Die Principessa nickt. Ihre Augenlider klappern hektisch auf und zu, so als wäre ihr ein Staubkorn ins Auge geraten.
«Sie wären auch fast verblutet», sagt die Principessa. «Ich hatte Schwierigkeiten, Ihren Arm abzubinden. Der Schuss hatte Sie in die Schulter getroffen. Ich habe es schließlich mit einem Schnürsenkel geschafft. Da hatten Sie aber bereits sehr viel Blut verloren. Der ganze Fußboden war nass. Die Wunde wollte einfach nicht aufhören zu bluten.»
An dieser Stelle nimmt die Principessa ihren Kneifer ab und schnieft. Dann sagt sie: «Ich habe gedacht, du stirbst, Alvise.» Danach schnäuzt sie sich. Es klingt wie ein wütender Trompetenstoß.
Eigentlich wäre das jetzt die Gelegenheit für Tron auszusprechen, was er schon die ganze Zeit auf der Zunge hat. Aber Tron zögert, hauptsächlich weil er sich nicht entscheiden kann, ob er weiterhin «Sie» zu der Principessa sagen soll oder ob er ebenfalls zum «Du» übergehen darf. Wobei sich Tron auch fragt, ob er sich nicht eben schlicht und einfach verhört hat oder – auch das ist denkbar – lediglich kurz eingenickt ist und das mit dem «Alvise» und dem «Du» nur geträumt hat. Jedenfalls kann er regelrecht zusehen, wie sich die Principessa von ihrem sentimentalen Anfall erholt, wie sich ihr Gesicht, das eben noch ganz weich und offen gewesen ist, strafft und wieder schließt.
Also fragt Tron, nur um das peinliche Schweigen zu brechen, das sich jetzt eingestellt hat, und ohne echtes Interesse:«Warum steht keine Wache vor der Tür? Ich hatte erwartet, dass ich zumindest unter Hausarrest stehe.»
Die Principessa schüttelt den Kopf. «Nein, stehst du nicht. Du bist rehabilitiert.»
«Was ist passiert?»
«Die Unterlagen, die Pergen gesucht hat, sind aufgetaucht. Zusammen mit der Post der Kaiserin. Bruck hat sofort einen Bericht an Toggenburg geschrieben und eine Abschrift des Berichtes an Spaur und die Kaiserin geschickt. Toggenburg hatte keine Möglichkeit mehr, die Sache zu vertuschen. Er wollte dich trotzdem ins Militärkrankenhaus bringen lassen, aber im letzten Moment kam eine Anweisung von oben.»
«Kam die Anweisung von der Kaiserin?»
Die Principessa schüttelt den Kopf. «Nein. Die Anweisung kam telegraphisch direkt aus Wien. Von
ganz
oben.»
«Woher weißt du das alles?»
«Von Spaur. Er leitet die Ermittlungen. Ich war vorgestern in der Questura. Spaur war bemerkenswert entgegenkommend. Und bemerkenswert gelassen, was Haslinger angeht. Dass du aus einem
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