Schnee in Venedig
untergegangen, noch hatte ihn das ablaufende Wasser auch nur eine Handbreit von der Stelle bewegt. Sie hatten den Oberst in ein leckes Ruderboot geworfen, das, unsichtbar für sie, an der Ufermauer vertäut gewesen war. Pergen war mit dem Rücken auf das Dollbord gefallen, sodass Kopf, Schultern und die aufgeschnittene Kehle aus dem Wasser ragten. Sein rechter Arm, der sich im Herabfallen aus dem Bettlaken gelöst hatte, trieb auf der Wasseroberfläche leicht hin und her – es sah aus, als würde der Oberst winken. Das Monokel, das an einem Band um Pergens Hals hing, und der sorgfältig gestutzte Schnurrbart gaben seiner Erscheinung selbst hier noch etwas Militärisches. Pergen sah aus wie ein toter Offizierin Zivil. Das war nicht überraschend, denn er
war
ein toter Offizier in Zivil.
Noch bevor die Mündung seine Schläfe berührte, spürte Tron den Revolver des Leutnants an seinem Kopf.
«Hinlegen! Beide!»
Wieder beugte Tron die Knie, und ein Fußtritt beförderte ihn auf den Bauch. Der Soldat, der ihm den Fußtritt verpasst hatte, drehte ihm die Arme auf den Rücken und band sie zusammen. Dann hörte Tron, wie der Leutnant (der jetzt italienisch sprach) einem der Soldaten den Befehl gab, Verstärkung zu holen. Offenbar hielt er es für sicherer, den Transport der Leiche und der Gefangenen einer größeren Abteilung anzuvertrauen.
53
«Sie sagen also, Signor Tron, dass Sie die Leiche von Oberst Pergen gegen vier Uhr vor dem Palazzo Tron entdeckt haben, als Sie und Signor da Ponte noch einen Spaziergang machen wollten. Und um zu vermeiden, dass der Mord mit dem Hause Tron in Verbindung gebracht wird, haben Sie beschlossen, die Leiche von Oberst Pergen in den Rio San Degolà zu werfen. Ist das korrekt?»
Tron schüttelte den Kopf. «Wir wollten den Oberst gar nicht in den Rio San Degolà werfen. Wir wollten ihn an die Riva di Biasio legen. Aber als die Soldaten auf uns zukamen, haben wir die Nerven verloren.»
Tron blickte in das gleich bleibend höfliche Gesicht von Oberleutnant Bruck, der ihm am Tisch direkt gegenübersaß. Er fragte sich, ob ihm wohl geglaubt würde. Oberleutnant Bruck hatte braunes, schütteres Haar und einen sorgfältiggestutzten Bart, wie ihn der Kaiser trug. Obwohl er höchstens dreißig zu sein schien, war die vordere Hälfte seines Schädels bereits völlig kahl. Nur in der Mitte erhob sich ein drahtiger Bewuchs aus bräunlichen Locken, die so fettig waren, dass sie aussahen wie ein frittiertes Stück Polenta. Er hatte kleine Zähne und merkwürdig rote Lippen, die geschwungen waren wie die Lippen einer Frau. Es war abstoßend, ihn mit diesem Frauenmund reden zu sehen, der mitten in diesen pedantisch geschnittenen Kaiserbart gesetzt war.
Tron und Alessandro hatten eine knappe Stunde im Schnee liegen müssen, bis kurz vor sechs zwei Dutzend Soldaten eintrafen, die sie in den Palazzo Ducale brachten. Dort hatte man sie, nachdem ihre Personalien festgestellt worden waren, getrennt. Oberleutnant Bruck war kurz vor acht eingetroffen und hatte sofort damit begonnen, ihn zu verhören. Dann war er eine Stunde lang verschwunden und hatte die Befragung um elf wieder aufgenommen. Jetzt war es kurz vor zwölf, und Tron bekam den Eindruck, dass sich die Fragen wiederholten.
Der Raum, in dem sie saßen, war eine schauerliche Kiste von einem Büro, spärlich möbliert, mit abgewetzten Aktenschränken und einem schmierigen Waschtisch, auf dem ein fleckiger Rasierspiegel stand.
Tron hatte Oberleutnant Bruck die Version erzählt, auf die er sich mit Alessandro geeinigt hatte, als sie im Schnee liegend auf die Soldaten gewartet hatten: dass sie den Oberst auf dem Ramo Tron gefunden hatten und ihn lediglich ein paar hundert Meter vom Palazzo Tron wegtragen wollten. Wenn Oberleutnant Bruck ihm diese Geschichte glaubte, dann würde er, Tron, in spätestens zwei Stunden das Protokoll unterschreiben und als – vorläufig – freier Mann den Palazzo Ducale verlassen können. Und dasmusste er auch. Wenn die Kaiserin Recht gehabt hatte, schwebte die Principessa nun tatsächlich in großer Gefahr. Für Haslinger war sie die einzige verbliebene Person, die wusste, was auf der
Erzherzog Sigmund
geschehen war, und noch lebte. Es war unbedingt erforderlich, die Principessa so schnell wie möglich zu warnen. Tron hörte die Glocken vom Campanile und kurz darauf den mittäglichen Salut von der Isola di San Giorgio. Zwölf Uhr.
Jetzt beugte sich Oberleutnant Bruck über den Kanzleibogen, der vor ihm lag. Die
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