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Schnee in Venedig

Schnee in Venedig

Titel: Schnee in Venedig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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schüttelte den Kopf. «Vielleicht hat es gar keinen Kampf gegeben», sagte er. «Die Schüsse könnten auf einen Mann abgegeben worden sein, der entweder schlief oder bewusstlos war.»
    «Aber wer sollte den Hofrat erschossen haben?»
    Tron zuckte die Achseln. «Das weiß ich nicht. Aber es scheint kein Selbstmord gewesen zu sein.»
    «Wie werden Sie vorgehen?»
    «Ich werde zuerst mit den Stewards sprechen, dann mit den Passagieren der ersten Klasse», sagte Tron. «Sorgen Sie dafür, dass Moosbrugger und Putz das Schiff vorerst nicht verlassen.»

6
    Die nächsten anderthalb Stunden verbrachte Tron damit, Hummelhausers Kabine und sein Gepäck gründlich zu durchsuchen und Bossi ein Verzeichnis der Gegenstände aus dem Besitz des Hofrats zu diktieren.
    Schließlich umfasste die Liste knapp siebzig Positionen, aber keine gab einen Aufschluss über den Hergang oder das Motiv des Verbrechens. Tron fand ein Billett der Südbahn, ausgestellt für den 13.   Februar 1862, und mit demselben Datum die Rechnung einer
Pensione Winckelmann
– also hatte der Hofrat eine Nacht in Triest verbracht, bevor er nach Venedig weiterreiste.
    Eine lederne Aktentasche enthielt, säuberlich zwischen zwei Pappdeckel geschichtet, Ausschnitte aus Mailänder und Turiner Zeitungen über die Aktivitäten des
Comitato Vèneto
, einer verbotenen Organisation von erbitterten Gegnern Österreichs, außerdem einen nicht verschlossenen Umschlag, adressiert an Oberst Pergen, mit einem Bericht über die politische Einstellung kroatischer Unteroffiziere.
    Tron legte sämtliche Papiere in die Aktentasche zurück – er würde morgen mit Oberst Pergen Kontakt aufnehmen müssen. Möglicherweise würde die Militärpolizei den Fall dann an sich ziehen, aber vorläufig sprach nichts dafür, dass dieses Verbrechen einen politischen Hintergrund hatte.
    Als er das Bordrestaurant wieder betrat, wartete Moosbrugger bereits auf ihn. Der Steward stand hinter dem Buffet, und das Erste, was Tron auffiel, war die penible Sauberkeit, die der Chefsteward ausstrahlte. Der dunkelgrüne Tuchstoff seiner Lloyduniform schien eben erst gebügelt und abgebürstet worden zu sein, seine Uniformknöpfe blitzten. Tron sah unwillkürlich auf Moosbruggers Hände,um festzustellen, ob der Chefsteward die Bürste, die er benutzt hatte, noch in der Hand hielt, doch als Moosbrugger hinter dem Buffet hervorkam, hielt er keine Bürste, sondern einen Papierbogen im Kanzleiformat in der Hand – zweifellos die Passagierliste.
    «Bitte, nehmen Sie Platz.» Tron lächelte verbindlich und wies auf einen Stuhl auf der anderen Seite des Tisches, an den er sich gesetzt hatte.
    Der Steward hob den Stuhl um ein paar Zentimeter an, vermutlich um Tron das Geräusch zu ersparen, mit dem die Stuhlbeine über den Fußboden gescharrt hätten. Dann nahm er Platz, ohne sich anzulehnen – mit Bewegungen, für die Tron nur das Wort «sorgfältig» einfiel. Die Passagierliste legte er vor sich auf den Tisch, den unteren Rand parallel zur Tischkante.
    Tron sah Moosbrugger direkt in die Augen, als er die erste Frage stellte: «Lieben Sie Ihre Arbeit, Signor Moosbrugger?»
    Das war keine der Fragen, die Moosbrugger erwartet hatte; umso bemerkenswerter war die Schnelligkeit, mit der die Antwort kam. Ohne einen Moment zu zögern oder die Stimme zu heben, sagte Moosbrugger: «Die Passagiere und der Commandante sind mit meiner Arbeit immer sehr zufrieden gewesen, Commissario.» Abgesehen von einem ausgeprägten österreichischen Akzent war Moosbruggers Italienisch fließend.
    Tron erneuerte sein verbindliches Lächeln. «Was vermutlich dazu führt, dass Ihnen Ihre Arbeit in der Regel Freude bereitet.»
    Moosbrugger nickte gemessen. «Ja, das könnte man sagen.»
    «Und wie lange sind Sie jetzt beim Lloyd?»
    Wieder kam Moosbruggers Antwort ohne Zögern. «Seit fünf Jahren.»
    «Und auf der
Erzherzog Sigmund

    «Seit zwei Jahren. Die
Erzherzog Sigmund
ist vor zwei Jahren vom Stapel gelaufen, und ich war von Anfang an dabei. Zusammen mit Commandante Landrini und Signor Putz», setzte er noch hinzu.
    «Wann haben Sie den Hofrat gestern Nacht zum letzten Mal gesehen?»
    Diesmal überlegte Moosbrugger einen Moment. «Kurz vor eins im Bordrestaurant. Er saß mit Leutnant Grillparzer aus Kabine fünf zusammen an einem Tisch.»
    «Hatten Sie den Eindruck, dass sich die Herren kannten?»
    «Da bin ich überfragt. An diesem Tisch hat Putz bedient.»
    «Wo sind Sie und Putz während des Sturms gewesen?»
    «Im

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