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Schnee in Venedig

Schnee in Venedig

Titel: Schnee in Venedig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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Zwischendeck.»
    «Soll das heißen, dass sich während des Sturms kein Besatzungsmitglied in der ersten Klasse aufgehalten hat?»
    Moosbrugger nickte. «Man konnte die erste Klasse weder betreten noch verlassen. Es waren nicht nur die Fenster und die Bullaugen verschalkt, sondern auch alle Zugänge.»
    Das würde bedeuten, dachte Tron, dass der Name des Mörders auf der Passagierliste stehen musste, falls der Mord während des Sturms begangen worden war. «Wann hat der Sturm eingesetzt?»
    «Um zwei. Gegen fünf hat er plötzlich abgeflaut. Wir haben kurz nach fünf damit begonnen, das Restaurant aufzuräumen.»
    «Wie laut war es während des Sturms?»
    «So laut, dass wir schreien mussten, um uns zu verständigen.»
    «Und bei normaler Fahrt? Hätte man einen Schrei aus einer Kabine der ersten Klasse gehört?»
    «Ja, sicher.»
    «Dann kann sich das Verbrechen also nur während desSturms zugetragen haben», folgerte Tron. «Was wissen Sie über das Mädchen, das der Hofrat in seiner Kabine hatte?»
    «Commandante Landrini glaubt, dass der Hofrat sie am Hafen kennen gelernt und in seine Kabine geschmuggelt hat.»
    «Wenn der Hofrat noch kurz vor eins im Bordrestaurant war, schien er es nicht eilig gehabt zu haben, ins Bett zu kommen», sagte Tron. «Was merkwürdig ist, wenn man annimmt, dass in der Kabine eine junge Frau auf ihn wartete.»
    Moosbrugger betrachtete die Fingerspitzen seiner rechten Hand, als hätte er sie noch nie gesehen. Schließlich sagte er: «Vielleicht war das Mädchen zu diesem Zeitpunkt noch nicht in seiner Kabine.»
    «Sie meinen, sie ist erst später gekommen?»
    Auf Moosbruggers Stirn bildeten sich mehrere parallel verlaufende Falten. «Ja, aber das ist eigentlich unmöglich. Sie konnte nach ein Uhr nicht mehr durch das Restaurant gehen, und der Zugang zum Vorderdeck wird um halb eins verschlossen.»
    «Vom wem?»
    «Von Putz. Er hat auch gestern abgeschlossen.»
    «Gibt es einen Hauptschlüssel für die Kabinen?»
    «Selbstverständlich.»
    «Hat auch Putz einen Hauptschlüssel?»
    «Wir beide haben einen Hauptschlüssel.»
    «Dann könnte Putz das Mädchen um halb eins in die erste Klasse und in die Kabine des Hofrats gelassen haben.»
    Moosbrugger schüttelte den Kopf. «Das ist völlig undenkbar. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er   …» Der Steward verstummte und starrte auf seine manikürte linke Hand, als wären seine Finger Puzzleteilchen, die nirgendwo passten.
    Trons Blick fiel auf die Passagierliste. «Gestatten Sie?»
    Auf der Liste standen vier kaiserliche Offiziere, zwei ausländischeEhepaare und ein paar italienische und österreichische Zivilisten; alles Namen, die Tron nichts sagten – bis auf einen, der ihn erröten ließ wie einen pubertierenden Jüngling. Er sah verstohlen von der Liste auf, aber Moosbruggers Blick war immer noch auf seine Hand gerichtet.
    Tron war der Principessa di Montalcino zum ersten Mal begegnet, als es im Herbst letzten Jahres um eine Erweiterung ihrer Ladenräume an der Piazza ging (der Principessa gehörte die größte Glasfabrik auf Murano), und Tron hatte damals die Zielstrebigkeit beeindruckt, mit der die Principessa verhandelte. Dabei war sie das, was man eine «gut aussehende Frau» nennen konnte: hoch gewachsen, schlank, mit blonden Haaren und einer angenehmen Altstimme.
    Tron hatte gehofft, sie wiederzusehen, und tatsächlich waren sie sich zwei Wochen später im Fenice begegnet. Er hatte sich verbeugt, und die Principessa hatte seinen Gruß erwidert, aber sie hatte nicht zu erkennen gegeben, dass sie ein Gespräch wünschte.
    Seitdem ertappte sich Tron dabei, wie er bei allen möglichen Gelegenheiten an die Principessa dachte, sich ihr Botticelli-Profil vorstellte und versuchte, ihre warme, klare Stimme heraufzubeschwören. Ihr Bild schien im Hintergrund seiner Gedanken zu lauern und unversehens nach vorne zu springen, so wie das Geheimfach eines Sekretärs, wenn man die Feder berührte. Venedig war eine kleine Stadt, aber merkwürdigerweise hatten sich seine Wege mit denen der Principessa nie mehr gekreuzt.
    Moosbruggers Räuspern holte Tron wieder in die Gegenwart zurück. «Wer hatte die Nachbarkabinen des Hofrats?», fragte Tron.
    Moosbrugger musste nicht nachdenken, um Trons Frage zu beantworten. «Die Principessa di Montalcino und ein Leutnant Grillparzer.»
    Tron beugte sich über den Tisch. «Diese Principessa di Montalcino – ist sie öfter Passagier auf Ihrem Schiff?»
    Moosbrugger schüttelte den Kopf. «Mit uns

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