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Schnee in Venedig

Schnee in Venedig

Titel: Schnee in Venedig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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an den Sieg erinnert, den sie über ihre Schwiegermutter errungen hat. Seit Januar ist die Königsegg ihre Oberhofmeisterin und nicht mehr die furchtbare Esterhazy, die ihre Schwiegermutter ihr vor die Nase gesetzt hat, als sie 1854 frisch verheiratet nach Wien kam. Und natürlich war es auch ein Sieg, dass sie von Korfu nicht direkt nach Wien zurückging, sondern erst mal nach Venedig, und dass auch noch die Kinder für drei Monate kommen durften – alles dies gegen den erbitterten Widerstand der Erzherzogin Sophie.
    So gesehen könnte Elisabeth mit sich zufrieden sein, aber sie ist es nicht, denn Venedig geht ihr auf die Nerven. Morgens Nebel, abends Nebel und zwischen den Nebeln Schneefall und feuchte, dunkle Tage, die sich endlos hinziehen und an denen sich Elisabeth ernsthaft fragt, ob es je Todesfälle aus bloßer Langeweile gegeben hat. Was ist, wenn ihr Herz sich ebenso langweilt wie sie und vor lauter Langeweile einfach aufhört zu schlagen? Oder ihre Lunge vor lauter Langeweile aufhört zu atmen?
    Speziell die Abende ziehen sich endlos hin: Während sich alle Welt auf Maskenbällen vergnügt, bleibt ihr nichts anderes übrig, als ihre Fotografien zu ordnen, Briefe zu schreiben oder mit den Königseggs Karten zu spielen. Den Besuch der offiziellen, vom Militär organisierten Maskenbälle hat sie abgelehnt, und auf die venezianischen Maskenbälle,die
echten
Maskenbälle, die im Moment überall stattfinden, lädt man sie aus politischen Gründen nicht ein. Das versteht Elisabeth ja, aber ein wenig kränkt es sie schon.
     
    Elisabeth hat immer gefunden, dass die Art, wie jemand die Klinke herabdrückt, bereits alles über diese Person sagt. Franz Joseph zum Beispiel kann den Raum, in dem sie sich aufhält, nicht betreten, ohne vorher einen kurzen Augenblick vor der Tür innezuhalten. Manchmal hört Elisabeth dann ein kurzes Räuspern oder ein Atmen. Sie vermutet, dass seine Hand dann bereits über der Klinke schwebt, senkrecht darüber in zehn Zentimeter Abstand   – Franz Joseph ist in diesem Stadium des Vorgangs voll auf das Türöffnen konzentriert. Dann senkt sich die Klinke rasch, aber nicht
zu
rasch nach unten, und zwar ohne am Anschlag ein übermäßiges Geräusch zu verursachen, was darauf hindeutet, dass der Kaiser seine Kraft angemessen dosiert. Eine mechanische Apparatur, eine Apparatur zum Türöffnen, würde auf diese Weise funktionieren, ruhig, präzise, mit exakten und genau abgemessenen Bewegungen. Dazu passt dann der Gesichtsausdruck des Kaisers über seiner makellos sauberen Uniformjacke, eine Art geometrisches Lächeln, das sie sechs Jahre lang charmant gefunden hat, aber nun nicht mehr.
    Die Königsegg hingegen kann keine Tür öffnen, ohne sich unweigerlich mit der Klinke zu verheddern. Sie begreift nicht, dass eine Klinke, nur zur Hälfte heruntergedrückt, die Tür nicht öffnet. So funktionieren Klinken nicht, und die Königsegg muss es jedes Mal aufs Neue lernen, was in der Praxis bedeutet, dass die Tür vergeblich gedrückt wird, die Klinke anschließend scheppernd nach oben schnappt und die Königsegg es noch einmal versucht, um dann schließlich, wenn sie es endlich geschafft hat undleicht atemlos im Zimmer steht, zu sagen: «Irgendetwas stimmt mit der Klinke nicht, Kaiserliche Hoheit.»
    Heute Morgen trägt die Oberhofmeisterin ein orientalisch aussehendes Gewand aus dunkelrotem Samt, eine Mischung zwischen Morgenmantel und Krinoline, eine Art Hauskleid, was völlig unangemessen ist, denn schließlich ist sie die Hofdame der Kaiserin, protokollarisch betrachtet die zweite Dame des Reiches, und so ein nachlässiger Aufzug gehört sich nicht, auch wenn die erste Dame des Reiches geräuschvoll ihre morgendliche Schokolade schlürft.
    Aber Elisabeth sagt nichts. Erstens hat die Königsegg das Aussehen einer Frau, deren Nacht ausgesprochen unglücklich verlaufen ist, und zweitens will Elisabeth wissen, was auf dem Postschiff mit dem Hofrat passiert ist. Denn irgendetwas
ist
auf dem Schiff passiert, das hat sie dem Gesicht der Wastl deutlich angesehen.
    Vielleicht hat der Sturm, der gestern Nacht über die Dächer des Palazzo Reale pfiff, ihre Post über Bord geweht? Womöglich zusammen mit dem Hofrat? Elisabeth braucht dringend eine aufregende Geschichte, damit dieser Tag nicht genauso langweilig wird wie alle anderen.
    «Die Wastl behauptet, meine Post sei verschwunden», sagt Elisabeth.
    Die Königsegg steht vor dem Frühstückstisch der Kaiserin und knetet das Taschentuch, das sie

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