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Schnee in Venedig

Schnee in Venedig

Titel: Schnee in Venedig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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weiß es nicht. Ich habe bereits mehr erfahren, als ich erwartet hatte.»
    «Was wolltest du von ihm?»
    «Sehen, wie er reagiert, wenn man ihn auf den Tod seines Onkels anspricht.»
    Zorzi machte ein nachdenkliches Gesicht. Dann sagte er: «Ich glaube nicht, dass er es war. Grillparzer ist ein Typ, der kein Risiko eingeht. Er spielt nie besonders hoch, und meistens steigt er rechtzeitig aus.»
    «Es scheint ihm aber nicht viel zu nützen.»
    «Du meinst, weil er öfter verliert als gewinnt?» Zorzi lachte. «Das liegt in der Natur der Sache. Aber er verliert weniger als andere Spieler.» Wieder fing er an, die Jetons auf seinem Schreibtisch umzuschichten. «Spielst du?»
    «Du weißt doch, was ich verdiene.»
    «Es macht Spaß, Tron.»
    «Das kann ich nicht beurteilen.»
    «Dann probier es aus. Hier, nimm.» Zorzi zählte eine Hand voll Jetons ab. «Fünf weiße und fünf schwarze. Gib sie wieder an der Kasse ab, wenn du gehst.»
    «Und wenn ich verliere?»
    «Dann haben wir unsere Jetons bereits zurück.»
    «Und wenn ich gewinne?», fragte Tron.
    «Du schuldest dem Casino fünf schwarze und fünf weiße Jetons», sagte Zorzi. «Darüber hinaus schuldest du uns nichts. Geh in den hinteren Salon», fuhr er fort, ohne Tron Zeit für eine Erwiderung zu lassen. «An den Roulettetisch am Fenster. Fang erst an zu spielen, wenn ein anderer Croupier gekommen ist. Und hör auf, wenn du dreimal hintereinander verloren hast.»
    «Ist das ein Witz?»
    «Das machen alle so, Tron», sagte Zorzi beleidigt.
    «Was heißt alle? Pergen auch?»
    «Alle. Weshalb, meinst du, können wir uns hier halten?» Er zuckte die Achseln. Dann sagte er: «Also gut. Was kann ich sonst für dich tun?» Er erneuerte sein Lächeln, aber diesmal war es das Lächeln eines alten Freundes, der bereit war, ihm zu helfen.
    Tron gab Zorzis Lächeln zurück. «Die Augen für mich offen halten.»
    «Du glaubst wirklich, dass Grillparzer seinen Onkel getötet hat?»
    «Ich weiß nur, dass die Sache stinkt, Zorzi.»
    «Mord stinkt immer.»
    «Mich interessiert, ob Pergen den Leutnant deckt», sagte Tron. «Und wenn, dann würde ich gerne wissen, weshalb.»
    «Also glaubst du, dass es Grillparzer war.»
    «Zumindest hatte er ein Motiv.» Tron stand auf und gähnte.
    Zorzi sagte: «Wir haben immer zwei Gondeln für die hohen Tiere in Bereitschaft. Eine davon kann dich nach Hause bringen.»
    «Ich kann zu Fuß gehen.»
    «Jetzt übertreibst du es. Ich bestehe darauf.»
    «Na gut», sagte Tron, der auch fand, dass er jetzt übertrieb.
    Als er ein paar Minuten später in der Gondel des Casinos saß (eine Gondel mit einer extrem luxuriösen Polsterung und einer
felze
, die innen mit frivoler roter Seide ausgeschlagen war), fragte sich Tron, was ihn dazu bewogen hatte, das Angebot Zorzis, an einem der Roulettetische ein wenig zu spielen, so brüsk zurückzuweisen. Weil er das Geld nicht brauchte? Eindeutig nein. Weil er seine Unbestechlichkeit demonstrieren wollte? Gleichfalls nein. Tron hatte ein kleines Nebengeschäft, solange es sich im Rahmen hielt, noch nie zurückgewiesen. Oder hatte er so reagiert, weil er Zorzi glauben machen wollte, dass er es nicht nötig hatte, Gefälligkeiten anzunehmen? Ja, wahrscheinlich – irgendetwas in der Richtung. Das war natürlich albern. Denn dass die Trons pleite waren, wusste Zorzi. Und wenn er es nicht wusste, dachte Tron, dann hatte Zorzi es seinem abgewetzten Gehrock angesehen.

12
    Der Raum, in dem sie erwacht, ist vollständig dunkel, trotzdem weiß sie mit dem ersten wachen Atemzug, wo sie sich befindet. Es ist der Geruch ihres Schlafzimmers, der es ihr verrät, der feuchte Muff, der in den Gardinen hängt, der Fäulnisgeruch der Teppiche, den auch die Öfen, die seit ihrer Ankunft ständig beheizt werden, nicht vertreiben können.
    Sie hat der Wastl verboten, sie zu wecken. Wozu sollte sie aufstehen? Die Kinder sind wieder in Wien, also gibt es niemanden, der morgens hinter den Türen ihres Schlafzimmers auf sie wartet. Elisabeth liebt den Zustand halber Bewusstlosigkeit, der es ihr gestattet, über ihren Aufenthaltsort im Unklaren zu bleiben. Heute, im Halbschlaf, als sie irgendwann in der Nacht erwachte, war sie minutenlang davon überzeugt, daheim zu sein, am Starnberger See, und hat unwillkürlich auf den Atem ihrer Geschwister und das Tapsen der Hunde gelauscht.
    In Possenhofen fing der Tag mit Hundegebell an. Hier in Venedig ist es das Geschrei der Möwen, das sie morgens weckt. Die Möwen erwachen mit der

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