Schnee in Venedig
in der Hand hält. Ihre Augen sind gerötet.
«Sie dürfen sich setzen, Gräfin.»
Elisabeth könnte der Königsegg sagen, dass kein Mann es wert ist, sich seinetwegen die Augen rot zu weinen, aber das würde in eine Unterhaltung münden, die sie im Moment nicht wünscht. Jetzt wünscht sie ein Gespräch über die Umstände, unter denen ihre Post verschwunden ist.
«Die Wastl meinte, dass irgendetwas mit dem Hofrat passiert ist.»
Die Königsegg nickt. Sie setzt sich steif auf den Stuhl, und Elisabeth kann deutlich sehen, wie sie sich bemüht, nicht länger an das zu denken, was der Graf ihr angetan hat, sondern sich auf die kaiserliche Frage zu konzentrieren.
«Es gab einen Überfall auf die Kabine des Hofrats. Der Hofrat ist dabei getötet worden», sagt die Königsegg lahm. «Der Mann, der in die Kabine des Hofrats eingedrungen ist, hat den Hofrat getötet.»
Elisabeth schließt die Augen. Sie atmet ein und hält einen Moment lang die Luft an. «Ist er gefasst worden?»
«Nein.»
«Es bringt jemand auf einem Lloydschiff einen Passagier der ersten Klasse um und kann ohne weiteres entkommen?»
«Das Verbrechen ist erst entdeckt worden, als alle Passagiere das Schiff bereits verlassen hatten.»
«Woher wissen Sie das alles?»
«Vom Verlobten der Wastl. Der ist Bursche von Pergen. Die beiden haben sich gestern gesehen. Die Wastl hat es mir eben erzählt.»
«Wer ist Pergen?»
«Ein Oberst aus dem Stab Toggenburgs. Er leitet die Ermittlungen. Die Sache ist politisch. Mehr weiß ich auch nicht.»
«Politisch? Hat die Wastl gesagt, warum?»
«Sie hat nur gesagt, dass die Ermittlungen zuerst von der venezianischen Polizei geführt wurden. Den Commissario hat Oberst Pergen dann weggeschickt.»
«Welchen Commissario?»
«Der zuständig ist für San Marco. Ein Venezianer.»
«Was wissen Sie noch?»
«Es hat eine zweite Leiche gegeben. Eine Frau, die sich in der Kabine des Hofrats aufgehalten hat», sagt die Königsegg mit einer Stimme, die verrät, dass sie mit ihren Gedanken ganz woanders ist.
Und jetzt muss Elisabeth wieder tief Atem holen. Eine zweite Leiche! Eine Frau! Und sie, Elisabeth, mittendrin, weil auch ihre Post von dem grausigen Geschehen betroffen ist! «Weiß man, wer diese Frau war?»
«Nein. Aber die Wastl sagt, sie war jung.» Die Königsegg putzt sich die Nase. Dann sagt sie in demselben lahmen Ton, in dem sie die ganze Zeit geredet hat und der Elisabeth langsam anfängt zu ärgern: «Sie ist vor ihrem Tod gefesselt und misshandelt worden.»
Elisabeth muss zum dritten Mal Atem holen. «Wer hat dieses Mädchen vor ihrem Tod misshandelt? Der Hofrat oder der Mörder?»
Die Königsegg macht ein ratloses Gesicht. «Das kann ich nicht sagen.»
«Hat es Sinn, wenn ich noch einmal mit der Wastl rede?»
«Ich denke, sie hat mir alles erzählt, was sie weiß.»
«Wie kommt meine Post normalerweise in den Palazzo Reale?»
«Die Kurierpost läuft über das Büro des Stadtkommandanten. Ein Leutnant aus der Kommandantur bringt sie zu uns.»
«Dann wäre also Toggenburg dafür zuständig, uns eine Erklärung für das Ausbleiben der Post zu liefern.»
Das ist keine Frage, sondern eine Feststellung, insofern kann sich die Königsegg darauf beschränken zu nicken.
Elisabeth beschließt, Toggenburg in den Palazzo Reale zu bitten. «Habe ich morgen Termine?», fragt sie. Das ist eine überflüssige Frage, denn sowohl Elisabeth als auch die Königseggwissen, dass Elisabeth noch nie einen «Termin» in Venedig gehabt hat und auch nie einen haben wird.
Die Königsegg denkt ein wenig nach, um die Form zu wahren. Dann schüttelt sie den Kopf: «Nein, Kaiserliche Hoheit. Keine Termine.»
«Schreiben Sie ein paar Zeilen an Toggenburg», sagt Elisabeth, nachdem sie noch einige Augenblicke nachgedacht hat. «Ich will ihn morgen um elf Uhr bei mir sehen. Erwähnen Sie ausdrücklich, dass ich Aufklärung über den Verbleib meiner Post wünsche. Erwähnen Sie ebenfalls, dass ich Briefe Seiner Majestät des Kaisers erwartet hatte. Das wäre alles.»
Die Königsegg macht den vorgeschriebenen Hofknicks (den sie vor zwanzig Minuten unterschlagen hat, was Elisabeth nicht entgangen ist) und geht zur Tür, aber auf halbem Weg, bevor sie ihren üblichen Kampf mit der Klinke wieder aufnimmt, fällt Elisabeth noch etwas ein.
«Finden Sie raus, wie dieser Kommissar heißt, dem Oberst Pergen den Fall entzogen hat, dieser Einheimische», sagt sie. «Dann soll die Wastl kommen und mir beim Anziehen helfen. Und
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