Schnee in Venedig
Dämmerung und geraten sofort in Streit. Sie unternehmen Sturzflüge vor ihren Fenstern oder drehen schreiend Pirouetten hinter den drei oder vier Stofflagen, die vor den Scheiben befestigt sind. Gegen sieben dann stürzt das Geläute der
marangona
vom Campanile auf sie herab, so laut manchmal, dass das Glas auf ihrem Nachttisch anfängt zu klirren.
Elisabeth richtet sich auf. Im Dunkeln tastet sie nach dem Klingelzug am Kopfende ihres Bettes und zieht ihn herab.
Als die Tür sich öffnet, fällt ein langes Rechteck fahlen Lichts auf den riesigen Aubusson-Teppich, der über den Terrazzofußboden gebreitet ist, und dann steht die Wastlvor ihr, das Frühstückstablett in den Händen. Elisabeth erkennt die Kaffeekanne, die Tasse und den silbernen Brotkorb, daneben den Stapel mit Umschlägen unterschiedlichen Formats: die tägliche Post. Die Wastl hat die Augen niedergeschlagen und erwartet Anweisungen darüber, wo Elisabeth das Frühstück zu sich zu nehmen wünscht.
«Am Tisch», sagt Elisabeth. «Aber lass die Post hier.»
Also wird sie aufstehen und am Tisch frühstücken. Der Tisch steht direkt am Fenster. An schönen Tagen gestattet er einen weiten Blick auf das Becken von San Marco, aber heute ist die Luft hinter den Scheiben wie Milch – Elisabeth bezweifelt, dass sie die paar hundert Meter bis zur Salute sehen kann. Sie steht auf und schlüpft ohne die Hilfe der Wastl in ihren Morgenmantel.
Dann nimmt sie den Poststapel vom Nachttisch und sieht ihn durch, während sie langsam zum Tisch schreitet. Alles, was sie nicht interessiert, lässt sie zu Boden fallen: einen Brief ihrer Cousine, den Speiseplan des heutigen Tages, das Programm eines Militärkonzerts auf der Piazza, ein Schreiben des Patriarchen von Venedig.
«Wo ist die Post aus Wien?»
«Da war nix, Kaiserliche Hoheit.» Die Wastl dreht sich um und deutet einen Knicks an, ein Zeichen dafür, dass sie verlegen ist.
«Was soll das heißen? Da war nichts?»
Elisabeth sieht, wie die Wastl das Tablett mit der Milch und den Semmeln auf den Tisch stellt. Das macht die Wastl, ohne dass man etwas hört, was wichtig ist, weil Elisabeths Geräuschempfindlichkeit unmittelbar nach dem Erwachen besonders groß ist.
«Da ist was passiert, Kaiserliche Hoheit.» Leichtes, nervöses Beugen der Knie.
«Was?»
«Dem Hofrat ist was zugestoßen, Kaiserliche Hoheit.» Wieder die Andeutung eines Knickses.
«Welchem Hofrat? Und hör auf, nach jedem Satz zu knicksen.»
«Der die Post hatte, Kaiserliche Hoheit.» Wieder setzt das Knie zur Beugung an, wird diesmal aber rechtzeitig abgefangen, sodass nur noch ein Zucken übrig bleibt.
«Ich versteh gar nichts», sagt Elisabeth jetzt mit einem kleinen Lächeln, das der Wastl zeigen soll, dass die kaiserliche Hoheit ihr nicht grollt. «Hol die Königsegg her.»
Die Wastl ist achtzehn Jahre alt und mit ihrer rundlichen Figur, ihrem schwarzen Kleid, der weißen Schürze und dem weißen Häubchen ein erfreulicher Anblick. Sie hat weiße, regelmäßige Zähne, auf die Elisabeth neidisch ist, und kleine schwarze Augen, die ihr etwas Mausähnliches geben. Sie kann das Badewasser, ohne zu messen, auf eine perfekte Temperatur bringen, und sie kann Elisabeth die Haare so sanft waschen, dass es nirgendwo ziept. Die Wastl ist eine perfekte Zofe, nur wenn sie eine Frage beantworten muss, wird sie jedes Mal rot und beginnt zu stottern.
Es dauert fast eine Viertelstunde, bis die Königsegg auftaucht, was völlig unverständlich ist, weil es kurz nach neun ist und die Königseggs sich gestern Abend bereits um zehn zurückgezogen haben – die Oberhofmeisterin wegen angeblicher Kopfschmerzen und Königsegg unter dem Vorwand, noch ein paar Regimentskameraden im Café Quadri zu treffen, obwohl die ganze Stadt weiß, dass er eine Affäre mit einer Soubrette vom Fenice hat. So betrachtet sind die Königseggs eine Idealbesetzung für Elisabeth, denn nichts wäre in ihrer Situation unerträglicher als die ständige Konfrontation mit einer glücklichen Ehe.
Jawohl, es ist unbestreitbar, dass Elisabeth, nachdem ihre eigene Ehe sich als Fehlschlag erwiesen hat und nur noch aus Gründen der Staatsräson fortbesteht, eine gewisse Befriedigung darin findet, ein ähnliches Missgeschick auch bei anderen festzustellen. Das findet sie selber nicht in Ordnung und tadelt sich dafür – trotzdem ist es so.
Nicht, dass sie ihre Oberhofmeisterin nicht schätzt – im Gegenteil. Sie schätzt sie schon deshalb, weil ihr Anblick sie jedes Mal
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