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Schnee in Venedig

Schnee in Venedig

Titel: Schnee in Venedig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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drücken Sie die Klinke bis zum Anschlag nach unten.»

13
    Zwei Stunden später hob Johann-Baptist von Spaur, Polizeipräsident von Venedig und passionierter Liebhaber tierischer Innereien, im mäßig besetzten Speisesaal des
Danieli-Hotels
den Blick von seinem Lungenhaschee. Die meisten Kellner standen untätig herum, und die wenigen Gäste – ein paar kaiserliche Offiziere und ein Dutzend Hotelgäste– verloren sich in dem großen Raum. Am Nebentisch saß ein französisches Ehepaar, das neugierig auf Trons und Spaurs Teller schielte – Innereien standen nicht auf der Speisekarte.
    «Schmeckt es Ihnen, Commissario?» Spaur strich die Serviette glatt, die ihm aus dem Kragen quoll.
    «Ausgezeichnet», sagte Tron. Er war darauf konzentriert, ausschließlich durch den Mund zu atmen, um einen Teil seiner Geschmacksempfindungen zu blockieren. Manchmal schien sich die gewürfelte Masse unter dem Rahm zu bewegen, dann musste er die Augen schließen. Das Gericht hieß
Salonbeuscherl
, weil man für die Zubereitung Wein anstelle von Essig benutzt hatte.
    Als Tron vor drei Jahren sein Amt antrat, hatte er Spaur gegenüber erwähnt, dass er das
Wort
Beuscherl mochte, weil ihm die durch das
l
gebildete Form der Verkleinerung gefiel, die alles so lieb und süß machte: das Schweindl, das Schatzl, das Supperl. Er hatte nicht das Beuscherl selber gemeint, aber Spaur verstand es so, und Tron hatte nie den Mut gefunden, das Missverständnis zu korrigieren. Infolgedessen saß er jeden Montag im Speisesaal des
Danieli
und verspeiste Innereien: Netzmagen und Pansen, gebratene Kalbslunge und Ragouts aus Rindsherzen.
    «Man kann auch Schnittlauch auf den Rahm streuen», sagte Spaur, ganz in die Betrachtung seines Beuscherls versunken.
    «Anstelle der gehackten Petersilie?»
    Spaur nickte. «Obwohl man Schnittlauch eigentlich für Kuttelgeröstl nimmt. In Röllchen geschnitten.»
    «Kuttelgeröstl?»
    «Sie schneiden gekochte Kutteln in feine Streifen und braten sie zusammen mit Zwiebeln, Knoblauch, Speck und Kartoffelscheiben. Auf die gebratenen Kutteln streuen siein Röllchen geschnittenen Schnittlauch. Noch einen Löffel, Commissario?»
    Wie immer wartete Spaur nicht auf Zustimmung, sondern hatte bereits den Servierlöffel in die Hand genommen, um Tron eine weitere Portion auf den Teller zu häufen.
    Die Ränder der Essteller waren mit ägyptischen Motiven verziert. Zweimal schaffte Tron es, seinen Geschmackssinn völlig auszuschalten, indem er sich in den Anblick eines Horusfalken vertiefte. Horusfalken und Papyrusblätter waren mit einer Schablone auf den Tellerrand gemalt worden, in Gold und in Grün. Die Umrisse glichen sich, aber es schien Unterschiede im Farbauftrag zu geben. Wenn man intensiv nach Abweichungen suchte, vergaß man, was die Gabel zum Mund führte. Tron stellte fest, dass das Grün der Palmen fast unmerklich changierte.
    Da Spaur Tischgespräche über Verbrechen verabscheute, musste Tron den Kaffee abwarten, bis er den Polizeipräsidenten ins Bild setzen konnte. Als er seinen Bericht beendet hatte, sah ihn Spaur mit unverhohlener Skepsis an.
    «Sie behaupten also, dass es Leutnant Grillparzer war, der den Hofrat getötet hat, und dass Oberst Pergen ihn deckt?»
    Spaur leerte den Cognac, den der Kellner gebracht hatte, in seinen Kaffee. Sein Gesicht, bereits gerötet vom Konsum einer Flasche Barolo, hatte inzwischen die Farbe reifer Tomaten angenommen.
    «Ich behaupte weder das eine noch das andere. Ich hätte nur gerne ein paar Erklärungen.»
    «Wofür?» Spaur hob das leere Glas über seinen Kopf – das Signal an den Ober, ihm einen neuen Cognac zu bringen.
    «Eine Erklärung für den Streit, den der Hofrat im Bordrestaurant mit seinem Neffen hatte. Und eine Erklärung dafür, warum Leutnant Grillparzer von Bord gegangen ist,ohne sich danach zu erkundigen, wie der Hofrat den Sturm überstanden hat. Und schließlich hätte ich gerne gewusst, aus welchem Grund Pergen den Leutnant im Casino Molin aufgesucht hat und warum sie sich dort gestritten haben.»
    Spaur lächelte. «Das sind eine Menge Fragen. Ich bezweifle, dass Pergen und der Leutnant Ihnen darauf Antworten geben werden.»
    «Das bezweifle ich auch. Aber ich nehme an, dass eine Kopie meines Berichtes auch an Toggenburg gehen wird.»
    «Was für ein Bericht?» Das Lächeln verschwand abrupt aus Spaurs Gesicht.
    Tron versuchte, möglichst unschuldig auszusehen. «Der Bericht, den ich schreiben werde.»
    «Worüber? Darüber, dass Sie die Ermittlungen

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