Schnee in Venedig
der
Erzherzog Sigmund
, richtig?» Er fuhr fort, ohne Trons Antwort auf diese Frage abzuwarten. «Aber der Fall ist ja inzwischen aufgeklärt.» Der Pater machte ein erschüttertes Gesicht. «Direttore Pellico. Wer hätte das gedacht?»
Jetzt war es an Tron, überrascht zu sein. «Woher wissen Sie das? Es stand kein Wort davon in der Zeitung.»
«Ich weiß es», sagte Pater Tommaseo, «weil ich am
Istituto
Bibelkunde unterrichte. Das
Istituto
ist in heller Aufregung.» Er runzelte nervös die Stirn. «Aber wenn der Fall gelöst ist – was führt Sie dann zu mir, Commissario?»
Tron lächelte. «Ich bin wegen Ihrer Fotografien gekommen.»
Pater Tommaseos Gesicht erhellte sich. «Sie waren bei Signor Sivry?»
«Monsieur de Sivry sagte, Sie würden mit dem Erlös aus Ihren Fotografien den Etat der Armenkasse aufbessern.»
Tommaseo nickte. «Wenn ich nicht fotografieren würde, wäre das Elend in meinem Sprengel noch größer.»
«Ist es nicht ungewöhnlich, dass ein Priester fotografiert?», fragte Tron.
Von der anderen Seite des Tisches traf ihn ein tadelnder Blick. «Wenn der Herr nicht gewollt hätte, dass wir fotografieren», entgegnete Pater Tommaseo in belehrendem Ton, «wäre es ein Leichtes für ihn gewesen, uns die Kenntnis der erforderlichen Stoffe, die Kenntnis des Silbernitrats und der Gallussäure, vorzuenthalten.» Er lächelte selbstgefällig.
«Zweifellos», sagte Tron.
Pater Tommaseo beugte sich vor. «Sind Sie wegen der Fotografien gekommen, die ich vom Palazzo Tron gemacht habe?»
«Nein, eigentlich nicht», sagte Tron. Er zog die Fotografie Hummelhausers aus dem Umschlag und legte sie auf den Tisch. «Eine Ihrer Fotografien ist offenbar versehentlich unter die Venedig-Ansichten geraten, die Sie Monsieur de Sivry geschickt haben.»
Tommaseos Gesicht zeigte nicht den geringsten Ausdruck, als er das Foto erkannte. «Oh, der Hofrat», war sein einziger Kommentar.
«Sie kannten Hummelhauser also», sagte Tron. Das war keine Frage, sondern eine Feststellung.
Pater Tommaseo zuckte die Achseln. «
Kannte
ist zu viel gesagt.» Er zögerte, bevor er weitersprach. «Der Hofrat ist vor vier Wochen in meinem Atelier gewesen.» Der Paterdeutete auf eine Tür, hinter der sich offenbar das Atelier befand. «Unangemeldet. Aber ich hatte Zeit. Und ich kann es mir nicht leisten, einen Kunden abzuweisen.»
«Sie wussten nicht, mit wem Sie es zu tun hatten?»
Pater Tommaseo schüttelte den Kopf. «Nein. Der Hofrat hat sich mit einem italienischen Namen vorgestellt, obwohl sein Italienisch nicht besonders gut war.»
«Mit welchem Namen?»
«Ballani. Er hat eine Adresse am Campo Santa Margherita angegeben.» Pater Tommaseo sah Tron an, so als würde er eine Reaktion erwarten. Als dieser schwieg, fragte er: «Sie sind im Bilde?»
«Worüber?»
Der Pater schien erstaunt zu sein. «Ich dachte, das wäre der Grund, aus dem Sie gekommen sind.»
«Vielleicht erklären Sie mir, worum es geht, Pater Tommaseo.» Tron war bemüht, die Ungeduld aus seiner Stimme herauszuhalten.
Der Pater lächelte dünn. «Haben Sie sich die Fotografie genau angesehen? Zum Beispiel die Hand der Frau? Ihre Handgelenke? Ihr Kinn? Ihre kräftigen Arme? Der Schatten auf der Oberlippe?» Er schob Tron die Fotografie über den Tisch zurück.
Tron beugte sich über das Bild und begriff plötzlich, was Pater Tommaseo meinte. Warum nur hatte er die ganze Zeit das Offensichtliche übersehen? Die Frau besaß das kräftige Kinn und die kräftigen Handgelenke eines Mannes. Der Schatten auf der Oberlippe waren Bartstoppeln, die auch eine sorgfältige Rasur nicht hatten tilgen können. Tron sah Pater Tommaseo an. «Wollen Sie damit sagen, dass diese Frau in Wahrheit …»
Pater Tommaseo nickte grimmig. «Diese Frau ist ein Mann.»
«War Ihnen das bekannt, als Sie die beiden fotografiert haben? Ich meine, wenn schon auf der Fotografie zu erkennen ist, dass diese Frau in Wahrheit ein Mann ist, dann hätte es Ihnen doch …»
«… an Ort und Stelle auffallen müssen.» Pater Tommaseo seufzte. «Ich verstehe, was Sie sagen wollen, Commissario. Aber die Antwort ist: Nein. Wenn ich gewusst hätte, was gespielt wird, hätte ich die Herren selbstverständlich sofort gebeten, mein Atelier zu verlassen.» Der Pater zuckte hilflos mit den Achseln. «Ich muss völlig blind gewesen sein.»
«Hat denn diese angebliche Frau gar nicht gesprochen, als sie bei Ihnen im Atelier war? Sie hätten doch an der Stimme erkennen können, dass es sich
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