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Schnee in Venedig

Schnee in Venedig

Titel: Schnee in Venedig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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sind. Aber Elisabeth weiß, wo Königsegg die Passierscheine aufbewahrt, Bögen in halbem Kanzleiformat mit dem Wappen des Kaisers, das auch ihr Wappen ist. Siewird den Namen einer ihrer verheirateten Cousinen eintragen und den Passierschein selber unterschreiben.
    Der Liederabend, den die Königseggs heute im Malibran besuchen, beginnt um acht. Elisabeth schätzt, dass sie den Palazzo Reale gegen sieben verlassen werden. Also hat sie mindestens drei Stunden, in denen niemand sie vermissen wird, Zeit genug für die kleine Probe, der sie sich unterziehen möchte, bevor sie den Königseggs ihren Vorschlag unterbreitet.
    Wenn das Wetter sich hält, wird sie den schlichten Wollmantel tragen, den sie noch aus Madeira hat, an den Füßen ihre alten Stiefeletten, auf dem Kopf eine einfache Pelzmütze und dazu entweder Handschuhe oder einen Muff.

20
    Auf dem Weg zu Pater Tommaseo fragte sich Tron, was den Entschluss ausgelöst hatte, die Fotografie an sich zu nehmen und sie selbst zu Pater Tommaseo zu bringen. Tat er es deshalb, weil er das Gefühl nicht loswurde, dass irgendetwas damit nicht stimmte? Dass sie eine Art Vexierbild war – ein Bild, das man nur lange genug betrachten musste, um etwas zu entdecken, das man normalerweise übersah?
    Und war es nur ein Zufall, dass der Hofrat und der Pater vorgestern dasselbe Dampfschiff benutzt hatten? Oder gab es eine Verbindung zwischen den beiden, der nachzugehen sich vielleicht lohnte? Tron kannte Kollegen, die sich weigerten, an Zufälle zu glauben. Er sah das anders. Dass Tommaseo und Hummelhauser denselben Dampfer benutzt hatten, musste nicht unbedingt etwas bedeuten, aber eskonnte nicht schaden, dachte Tron, Pater Tommaseo ein paar Fragen zu stellen.
    Der Himmel hatte sich wieder bezogen, als Tron eine halbe Stunde nach seinem Besuch bei Sivry den Rio San Trovaso erreicht hatte. Er überquerte die kleine Brücke, um auf die andere Seite des Kanals zu gelangen, und lief um die Kirche herum zum Pfarrhaus. Dann zog er den eisernen Klingelzug nach unten, der neben der Tür angebracht war, und wartete.
    Die Tür wurde nach dem ersten Klingeln von einer Frau unbestimmten Alters in gestärktem Kittel und weißer Haube geöffnet. Ihre Gesichtshaut war ungesund bleich, fast so weiß wie ihre Haube; sie machte den Eindruck, als sähe sie selten oder nie das Licht des Tages. Ihre kleinen, geröteten Augen musterten Tron misstrauisch. «Sie wünschen?»
    «Ich möchte Pater Tommaseo sprechen», sagte Tron, der nicht wusste, was er von diesem Empfang zu halten hatte.
    «Darf ich fragen, wer Sie sind?»
    «Commissario Tron. Vom Sestiere San Marco.»
    «Und worum geht es?»
    «Das möchte ich dem Pater lieber selber sagen», erwiderte Tron.
    Die Frau musterte ihn noch einmal und gelangte offenbar zu dem Schluss, dass von Tron keine Gefahr drohte. «Dann kommen Sie», sagte sie knapp. Sie drehte sich um, ging voraus und überließ es Tron, die Tür hinter sich zu schließen. Am Ende eines dunklen Flurs hielt sie vor einer Tür und klopfte.
    «Gehen Sie nur hinein», meinte sie, ohne auf eine Antwort von drinnen zu warten. «Pater Tommaseo sagt immer, seine Tür steht jederzeit offen.»
    Der Mann, der Pater Tommaseo sein musste, saß an einem Tisch und schrieb. Als Tron eintrat, hob er den Kopf, standauf und kam ihm entgegen. Er streckte seinem unbekannten Besucher eine kräftige, behaarte Hand entgegen und lächelte, ohne dass das Lächeln seine Augen erreicht hätte. Für einen großen, breitschultrigen Mann war sein Händedruck überraschend schlaff. Tron schätzte Tommaseos Alter auf knapp sechzig. Der Pater hatte dichte graue, in eleganten Wellen nach hinten fallende Haare. Seine Nase war groß und fleischig und bog sich zu einem vollen, sinnlichen Mund herab. Zugleich lag etwas Unerbittliches über dem Gesicht des Priesters – etwas, das Tron an die Züge Savonarolas erinnerte.
    «Buon giorno»,
sagte der Pater. «Was kann ich für Sie tun, Signor   …»
    «…   Tron», sagte Tron.
    Der Pater zog überrascht die Augenbrauen nach oben. «
Commissario
Tron?»
    Tron nickte. «Ich bin gekommen, um Ihnen   …»
    Aber bevor er etwas sagen konnte, hatte ihn Pater Tommaseo unterbrochen. «Entschuldigen Sie, Commissario. Nehmen Sie doch Platz. Hier.» Er holte einen Bugholzstuhl, der an der Wand gestanden hatte, stellte ihn vor den Schreibtisch und wartete, bis Tron saß, bevor er sich selber wieder setzte. «Ich weiß, was Sie zu mir geführt hat», sagte er. «Diese Geschichte auf

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