Schnee in Venedig
Möglichkeit.»
«Vielleicht sollte man mit dem Burschen Pergens in direkten Kontakt treten», sagt Elisabeth langsam. «Jemand müsste die Wastl begleiten. Wissen Sie, wo die beiden sich normalerweise treffen?»
«In einer Gaststätte in Dorsoduro», sagt die Königsegg.
«Wann hat die Wastl frei?»
«Donnerstagabend.»
Königsegg ergreift das Wort. «Und wer wird die Wastl begleiten?»
Elisabeth steht so schnell auf, dass die Gräfin und der Graf sie verdutzt anstarren. Sie tritt ans Fenster, schiebt den Vorhang zur Seite und blickt hinaus. Zwei Laternenanzünder laufen von einer Laterne zu anderen, legen ihre Leitern an und entzünden das Gas. Die neue Gasbeleuchtung ist nicht besonders hell, aber sie gibt der Piazza San Marco etwas Wohnliches, verwandelt sie in einen riesigen Salon. Vom
Café Florian
, zehn Meter unter ihren Füßen gelegen und doch unerreichbar für sie, klingt Musik herauf.
Allein schon der Gedanke, in einen Mantel zu schlüpfen und ohne Begleitung über die Piazza zu laufen, ist ungemein reizvoll, ganz zu schweigen von der Vorstellung, die Königseggs auf diesen Maskenball zu begleiten. Auf einen echten venezianischen Maskenball! Einen Ball, der garnicht zu vergleichen ist mit den öden Garnisonsbällen der kaiserlichen Armee, auf denen die Offiziere jedes Mal strammstehen und die Hacken zusammenschlagen, wenn Elisabeth in ihre Nähe kommt. Elisabeth hat sich vorhin nichts anmerken lassen, als die Königsegg diesen Ball erwähnte, aber innerlich ist sie vor Neid fast geplatzt.
Sie dreht sich zur Königsegg um. «
Sie
werden die Wastl begleiten, Gräfin.» Dann ohne Pause weiter, in knappem Befehlston: «Die Wastl soll ihrem Verlobten eine Nachricht schicken und ihn darauf vorbereiten, dass sie am Donnerstag nicht allein zu ihrem Rendezvous kommen wird. Es wird eine Dame dabei sein, die ein paar Auskünfte wünscht. Stellen Sie der Wastl eine Gratifikation in Aussicht.»
«Aber ich …»
«Ein schlichtes Wollkleid wäre angemessen. Tragen Sie feste Schuhe. Ich nehme an, Sie werden sich zu Fuß zu dieser Gaststätte begeben. Wahrscheinlich wird es sich um ein eher schlichtes Wirtshaus handeln. Mit gescheuerten Tischen und Sägespänen auf dem Fußboden. Eine Gaststätte, in der sich Gondolieri und Fischer nach ihrem harten Tagewerk ein wenig Entspannung gönnen.»
Elisabeth muss einen Moment lang innehalten, um sich den Gastraum mit den gescheuerten Tischen und den Sägespänen auf dem Fußboden vorzustellen. An den Wänden hängen Fischnetze, und zwischen den Tischen tanzt eine glutäugige Italienerin eine Tarantella. Wieder stellt sie fest, dass sie neidisch auf die Königsegg ist. Aber sie kann diesen Gedanken nicht weiterverfolgen, denn irgendetwas scheint mit der Königsegg zu geschehen.
Die Oberhofmeisterin hat eine Art Starre befallen. Ihre Augen sind weit aufgerissen. Das Einzige, was sich an ihr jetzt noch bewegt, ist ihr Mund, der sich langsam öffnetund schließt. Die Gräfin sieht aus wie ein Fisch in einem Aquarium.
Und dann geschieht etwas, mit dem Elisabeth nicht gerechnet hat. Die Königsegg bricht in Tränen aus. Es sind lautlose Tränen, die unter den Augenlidern der Gräfin hervorquellen, und nach einer Weile schluchzt sie: «Ich kann das nicht, Eberhard.»
Der Generalmajor Königsegg blickt Elisabeth an. In seinem Blick liegt eine Entschuldigung für die Tränen seiner Frau, aber zugleich signalisiert sein Blick, dass die Königsegg es wirklich nicht kann und dass man sich etwas anderes ausdenken muss.
Und jetzt hat Elisabeth eine regelrechte Vision. Das Bild vor ihrem inneren Auge ist so klar und deutlich, als würde sie eine Zeichnung betrachten. Sie sagt: «Nun, es gäbe noch eine andere Möglichkeit. Wie wäre es, wenn …»
Aber sie spricht den Satz nicht zu Ende. Sie weiß, was sie sagen will, aber sie hat das Gefühl, dass es besser ist, vorerst zu schweigen. Es gibt tatsächlich noch eine andere Möglichkeit, und Elisabeth fragt sich, warum sie nicht früher darauf gekommen ist.
Das Einzige, was sie braucht, ist ein bisschen Watte, ein Paar flache Schuhe, ein schwarzes Kleid und ein wollenes Schultertuch. Elisabeth bezweifelt, dass die Königseggs von ihrer Idee begeistert sein werden, aber je länger sie darüber nachdenkt, desto mehr gefällt ihr der Plan.
Den Palazzo Reale zu verlassen dürfte kein Problem sein. Schwieriger könnte es werden, den Palast wieder zu betreten, zumal auf Anweisung Toggenburgs die Wachen verstärkt worden
Weitere Kostenlose Bücher