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Schnee in Venedig

Schnee in Venedig

Titel: Schnee in Venedig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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nicht um eine Frau gehandelt hat.»
    «Das konnte ich nicht, denn nur der Hofrat hat gesprochen. Der Mann, der sich Ballani nannte.» Pater Tommaseo stieß ein wütendes Schnauben aus. «Vermutlich hat mich die Großzügigkeit des Hofrats geblendet. Er hat, bevor wir ins Atelier gegangen sind, eine größere Summe in den Opferstock gesteckt. Sollte ich ihm unterstellen, dass seine Frau in Wirklichkeit ein Mann ist? Was, wenn ich mich getäuscht hätte? Es gibt viele Frauen, die   …» Pater Tommaseo hielt inne – vielleicht weil er im Begriff war, sich auf ein Gebiet zu begeben, von dem er als Priester keine Ahnung haben durfte. «Die nicht so schön sind wie die Heilige Jungfrau», sagte er schließlich.
    «Und wie haben Sie erfahren, wen Sie in Wirklichkeit fotografiert hatten?»
    «Meine Haushälterin, Signora Bianchini, hat es mir gesagt.» Tommaseo schüttelte fassungslos den Kopf. «Dieser Mann war so töricht, sich von ihr zu verabschieden.»
    Tron hob die Augenbrauen. «Er hat
gesprochen

    Tommaseo nickte grimmig. «An der Tür. Mit der Stimmeeines
Mannes.
Signora Bianchini hat sich natürlich gefragt, was hier gespielt wurde. Sie missbilligt ohnehin schon, dass ich fotografiere. Und sie hat mir indirekt unterstellt, dass ich   …» Tommaseo ließ den Satz unvollendet und beschränkte sich darauf, seine Arme empört zu heben.
    «Und Sie würden kategorisch ausschließen, dass es sich dabei um eine harmlose Karnevalsfotografie handelt?», fragte Tron, obwohl ihm klar war, dass es in der Welt des Paters für harmlose Karnevalsfotografien keinen Platz gab.
    Diesmal war das Lächeln des Paters so scharf, dass es die Luft vor seinem Gesicht zu zerschneiden schien. «Nein, Commissario», sagte er langsam. Als er weitersprach, ließ er einen gehörigen Abstand zwischen seinen Worten, so als würde er mit einem Begriffsstutzigen reden. «Ich habe diese Fotografie genauestens studiert. Das war ein
Erinnerungsfoto.
Zur Erinnerung an   … Unaussprechliches.»
    «Und jetzt fühlen Sie sich hintergangen. Ist es so?»
    Tommaseo blickte auf, und wieder konnte Tron die mühsam gezügelte Wut des Priesters spüren.
    «Ich wundere mich, dass Sie mir solch eine Frage stellen, Commissario», sagte Pater Tommaseo. «Zwei Männer machen mich zum Werkzeug ihrer Sudeleien – und Sie fragen mich, ob ich mich hintergangen fühle?» Er schüttelte fassungslos den Kopf.
    «Und was haben Sie getan, als Ihnen klar wurde, was es mit diesem Foto auf sich hat?»
    «Ich habe mich an den Patriarchen gewandt, um ihn um geistlichen Rat zu bitten.»
    «Und wie hat der Patriarch reagiert?»
    «Er hat das gesagt, was Sie gesagt haben, Commissario. Dass es sich um eine Karnevalsfotografie handelt.» Pater Tommaseos Züge verhärteten sich. «Mir blieb also nur noch das Gebet.»
    «Worum haben Sie gebetet?»
    «Darum, dass der Herr die Sünder, die seine Diener verhöhnen, bestraft», sagte Pater Tommaseo. Ein zufriedenes Lächeln breitete sich über seinem Gesicht aus. «Und meine Gebete wurden erhört.» Er drehte seine Augen zur Zimmerdecke, so als würde er in ständigem Kontakt mit dem Herrn stehen. «Ich will diese Tat nicht rechtfertigen», fuhr er fort. «Aber wer immer den Hofrat getötet hat, ist auch ein Werkzeug des Herrn gewesen.»
    Tron geriet kurz in Versuchung, dem Pater zu erklären, wie unwahrscheinlich es war, dass der Herr für solch ein Vergehen (Tron bezweifelte, dass es überhaupt eins war) die Todesstrafe aussprechen würde. Stattdessen fragte er ruhig: «Hat der Hofrat Ihnen eine Anschrift hinterlassen?»
    «Sie meinen, dieser   … Ballani?» Pater Tommaseos Stimme triefte vor Verachtung.
    Tron nickte. «Signor Ballani.»
    «Ja.» Pater Tommaseo griff zu einem Ordner, der auf seinem Schreibtisch lag, und entnahm ihm ein Blatt. «Campo Santa Margherita 28.» Er zog seine Mundwinkel angewidert nach unten. «Vermutlich die Adresse dieses Mannes.»
    Tron steckte die Fotografie wieder in den Umschlag zurück und erhob sich. «Ich nehme nicht an, dass Sie etwas dagegen haben, wenn ich diese Fotografie dort abgebe.»
    Der Pater sah Tron ausdruckslos an. «Zwei Lire.»
    «Wie bitte?»
    «Diese Fotografie kostet zwei Lire», sagte Pater Tommaseo kalt. «Sie könnten sie mir bezahlen und sich dann das Geld zurückgeben lassen.»

21
    Tron trat auf den Campo San Trovaso hinaus, zurück in die Kälte und den Schnee, und stellte fest, dass das schöne Wetter, das er am Vormittag so genossen hatte, nun endgültig verflogen

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