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Schnee in Venedig

Schnee in Venedig

Titel: Schnee in Venedig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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hüpfte unversehens um eine Oktave nach oben. «Wer ist dieser Mann? Und wer ist diese Frau?»
    Großer Gott, immer wenn er sich aufregte, wurde seine Stimme schrill, und Landrini hasste es, wenn er sich so reden hörte. Aber Moosbrugger beachtete ihn gar nicht, sondern blickte mit herabgezogenen Mundwinkeln auf den Mann und das Mädchen nieder, so als würde er das Ergebnis eines bedauerlichen Servierfehlers betrachten.
    «Bei dem Herrn handelt es sich um Hofrat Hummelhauser aus Wien», erwiderte Moosbrugger schließlich. «Er hat sich gestern Abend noch lobend über unsere Muscheln geäußert.»
    Der Chefsteward war neben Landrini vor die Bettnische getreten, ein blütenweißes Handtuch über dem linken Arm, als wäre er im Begriff, eine Bestellung aufzunehmen. Landrini,dessen Uniformhose bis zu den Knien durchweicht war, fragte sich, wie Moosbrugger es fertig brachte, dass seine grüne Lloyduniform so makellos aussah, als hätte er sie eben frisch gebügelt aus dem Schrank geholt.
    «Der Hofrat», fuhr Moosbrugger mit gleichmütiger Servierstimme fort, «war immer äußerst zufrieden mit unserem Service.» Wie üblich klangen seine Worte, als wären sie vorher sorgfältig geschliffen und poliert worden. Wer Moosbrugger nicht kannte, hätte vermutet, dass der Chefsteward über Humor verfügte, aber Landrini wusste, dass das nicht der Fall war. Moosbrugger hatte keinen Funken Humor.
    Landrini räusperte sich, bevor er sprach, um nicht wieder eine Oktave nach oben zu rutschen. «Und die Frau?» Er hatte seinen Blick von dem toten Mädchen abgewandt, aber es war schwierig, das Bild wieder aus seinem Kopf zu vertreiben.
    Moosbrugger hob bedauernd die Schultern. «Das entzieht sich meiner Kenntnis, Commandante. Die Kabine ist nur für eine Person gebucht worden.»
    «Gab es allein reisende Damen in der ersten Klasse?»
    Moosbrugger dachte kurz nach. «Nur die Fürstin von Montalcino.»
    «Ist sie das?»
    «Nein, Commandante.»
    «Und wer
ist
sie?»
    «Niemand aus der ersten Klasse. Vermutlich eine Person aus dem Zwischendeck. Ich nehme an, der Hofrat hatte etwas mit ihr zu besprechen. Dann hat sie wohl der Sturm überrascht, und sie konnte nicht mehr zurück in ihr Quartier.»
    Landrini erschien die Annahme, dass der Hofrat und das Mädchen etwas zu
besprechen
gehabt hatten, grotesk. «Fragt sich nur, wobei sie der Sturm überrascht hat», sagte er.
    «Wie meinen Sie das, Commandante?» Moosbrugger lächelte reflexartig – sein üblicher Gesichtsausdruck, wenn ein Gast eine Bestellung aufgegeben hatte, die eine Nachfrage erforderte.
    Landrini sah Moosbrugger spöttisch an. «Ich glaube nicht, dass der Sturm den Hofrat und die Frau bei einer
Besprechung
überrascht hat.»
    Moosbruggers Mund öffnete sich langsam und schloss sich wieder. Und dann konnte Landrini sehen, wie Verständnis in Moosbruggers Augen dämmerte. «Wollen Sie damit sagen, dass der Hofrat eine   …», Moosbrugger stärkte sich durch ein kräftiges Schlucken, «dass der Hofrat ein Mädchen vom   …
Hafen
in seiner Kabine hatte?»
    «Die Eisenbahn aus Wien war pünktlich um zehn in Triest», sagte Landrini. Er registrierte befriedigt, dass er seine Stimme wieder vollständig unter Kontrolle hatte. «Also hatte der Hofrat zwei Stunden Zeit, um eine entsprechende Bekanntschaft zu machen und ihr ein Billett für das Zwischendeck zu kaufen.»
    «Ich kann mir nicht vorstellen», sagte Moosbrugger, «dass der Hofrat ein Mädchen vom
Hafen
…»
    «Hat er aber», unterbrach ihn Landrini. «Und irgendjemandem scheint es nicht gepasst zu haben.» Er wandte sich abrupt zur Tür. «Lassen Sie die erste Klasse absperren», sagte er. «Und ziehen Sie den verdammten Vorhang zu.» An den Matrosen gewandt befahl Landrini: «Du gehst zur Wache an der Piazza und holst ein paar Polizisten. Sag, dass wir zwei Tote haben. Vermutlich werden sie jemanden zum Palazzo Tron schicken, um Commissario Tron zu holen.»
    «Dieser Commissario bewohnt einen eigenen Palazzo?» Moosbrugger hatte seine Stimme am Ende des Satzes ein wenig angehoben, sonst hätte Landrini die Frage für eine Feststellung halten können. Sie standen auf dem Gang, undLandrini sah zu, wie Moosbrugger die Kabine des Hofrats abschloss. Er nickte. «Seine Mutter, die Contessa Tron, ist die Eigentümerin.»
    «Was bringt einen Conte dazu, als Polizist zu arbeiten?», fragte Moosbrugger. Der Umstand, dass ein Conte, der seinen eigenen Palazzo bewohnte, bei der Polizei tätig war, schien Moosbrugger mehr zu

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