Schneeballflirt und Weihnachtszauber
dann machte ich mich auf den Weg. Zuerst bummelte ich durchs Kaufhaus; das musste sein, denn ich hatte noch kein einziges Weihnachtsgeschenk eingekauft. Für Melli erstand ich schwarze Wimperntusche, für Opa Menno Pfeifentabak Marke Seeräuber , für meinen Vater ein Buch zum Thema » Die zehn wichtigsten Tipps zum Reparieren eines Traktors« – dann war mein Geld alle. Ich machte mir aber keine Sorgen, weil ich für die Drei in Englisch bestimmt ein paar Euro bekommen würde.
Gerade schlenderte ich in Richtung Ausgang, als ich Flori direkt in die Arme lief.
Mein Erstaunen war nicht gespielt. »Ich denke, du sitzt in deinem Zimmer und machst Hausaufgaben!?«
Der Junge trug einen Rucksack auf dem Rücken und war furchtbar aufgeregt. »Katinka, Ferdi sagte mir, wo ich dich finden könnte. Ich brauche deine Hilfe; ich bin nämlich von zu Hause abgehauen.«
»Stress mit deiner Mutter?«
Er nickte. »Sie verbietet mir, mit dir Weihnachten zu feiern. Stattdessen soll ich mit ihr und ihrem Freund unterm Baum heile Welt spielen. Es ist furchtbar!«
»Verstehe. Und was soll ich tun?«
»Ich habe das Geld dabei, das wir verdient haben. Aber wenn wir es durch drei teilen, bleibt für mich nicht besonders viel übrig. Könntest du … wäre es möglich … kennst du vielleicht eine billige Unter kunft? Wenn nicht, verkrieche ich mich im Wald. Ich habe – « er deutete auf seinen Rücken, »meinen Schlafsack dabei.«
Er sah mich so flehend an, dass ich wusste, ich würde alles für Flori tun. Weil wir den Leuten im Weg standen, zog ich ihn auf die Straße hinaus. »Um ein Iglu zu bauen, liegt nicht genug Schnee. Wie lange willst du denn abhauen? Bis nach Weihnachten?«
Flori hob die Schultern. »Keine Ahnung. Bis meine Mutter kapiert, dass sie mich nicht mehr wie ein kleines Kind behandeln kann.«
Ich dachte sofort an unseren großen Speicher. »Du kannst dich bei uns verstecken, Flori. Es ist ein bisschen frisch so unterm Dach, allerdings längst nicht so kalt wie im Wald. Trotzdem – die Voraussetzungen sind gut, um ›Mönch in Tibet‹ zu trainieren. Und – «, setzte ich hinzu, »es kostet dich keinen Cent.«
Flori fiel mir um den Hals. »Mensch, Katinka!«
Hinter mir summte jemand Ihr Kinderlein kommet. Tina und Daniel!
»Schön für dich, dass du wieder einen Freund hast, Katinka«, stichelte Tina. »Du bist doch Katinkas neuer Freund, oder? Wohnst im … warte mal!« Plötzlich hielt sie meinen Post-it-Zettel in der Hand. »Nikolausweg 7.«
»Geht dich das etwas an?«, fauchte ich und hätte meiner Ex-Freundin am liebsten die Augen ausgekratzt. Aber Flori war viel cooler als ich. »Ist dein …Begleiter etwa dein Freund ?« Er rümpfte die Nase und legte den Arm um meine Schultern. »Na ja. Also ich finde, über Geschmack kann man eigentlich doch streiten, meinst du nicht auch, Katinka?«
Dani stand plötzlich da wie unser gerupfter Sahib, und Tinas fassungsloses Gesicht war fast das extra Jahr Schule wert. Sie schnaubte wütend, packte Daniels Arm und tauchte im Gewühl unter.
Ich drückte Floris Hand. »Danke!«
»Keine Ursache. Die beiden sind nicht deine liebsten Freunde, was?«
»Ne. Wegen Dani drehe ich die Ehrenrunde. Aber die Geschichte kennst du ja.«
Ich war froh, dass es schon dämmrig wurde, denn ich musste Flori ungesehen ins Haus schmuggeln. Bei einer Großfamilie samt neugierigen Zwillingen, Hund, Katze und Beo ist das keine leichte Aufgabe. Ich überlegte gerade, ob ich Flori nicht im Schuppen zwischenlagern sollte, bis alle im Bett waren – aber auch da gab es einen Haken. Nicht nur einen, einige!
Erstens: Die Haustüre quietschte.
Zweitens: Die Treppenstufen knarrten.
Drittens: Popeye kannte Flori nicht, also würde er bellen.
Viertens: Großtante Katrin hatte einen extrem leichten Schlaf; das kleinste Geräusch trieb sie aus dem Bett und auf den Flur hinaus.
Fünftens: Da waren noch die Zwillinge mit ihrer grenzenlosen Neugierde.
»Warum bist du so schweigsam?«, erkundigte sich Flori. »Bedauerst du schon, mich – «
»Quatsch«, unterbrach ich ihn. »Ich überlege gerade, wie ich dich heimlich auf den Speicher transportiere. Am besten wird es sein, du wartest im Schuppen, bis die Luft rein ist und ich dich holen kann.«
Ich hätte mir die Überlegungen sparen können, denn im Haus herrschte Totenstille, und weder Popeye noch Daisy lagen in der Diele auf ihrer Matte.
Stille ist etwas, das es bei uns so gut wie nie gibt; entweder bellt Popeye, oder Sahib krächzt,
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