Schneeballflirt und Weihnachtszauber
Hefte aus. Zuerst wagte ich nicht, meines aufzuschlagen, aber plötzlich stand er neben mir. »Na, was ist? Freust du dich nicht?«
Freuen? Über eine Sechs? Der Mann hatte sie ja nicht alle! Aber weil er mir die Hand auf die Schulter legte (das ist auch etwas, was ich nicht leiden kann), hielt ich die Luft an, machte das Heft auf – und starrte ungläubig auf die Note. Ross musste haufenweise Fehler übersehen haben, musste weggetreten, mit Blindheit geschlagen und in geistiger Umnachtung gewesen sein: ICH HATTE EINE DREI !
Er schüttelte mich ein bisschen. »Mach weiter so, Katinka!«, sagte er munter und nahm seine Hand von meiner Schulter. Ich hätte ihn küssen können, obwohl er mit seinem ekligen grauen stoppligen Drei-Tage-Bart echt unappetitlich aussah. Ich war so froh, dass ich sogar zu meinem Ex-Freund und meiner Ex-Freundin hätte nett sein können.
Die Drei war ein Wunder. Wie ich die geschafft hatte, war mir total schleierhaft – aber das war egal. Ich HATTE eine Drei!
Den Rest der Stunde verbrachte ich in einem kompletten Glückszustand: Ich war glücklich! Ich war selig! Ich hätte die ganze Welt an mein Herz drücken können!
Und natürlich nahm ich mir vor, in Zukunft jede Menge zu lernen.
Aber zuerst tippte ich in der Pause meiner Mutter eine SMS . Englischarbeit: DREI !
Das Ausrufezeichen löschte ich wieder; hätte ich das nicht getan, hätte sich meine Mutter darüber gewundert und angenommen, es sei eine unverdiente Note.
Dann wollte ich Flori die gute Nachricht mitteilen, ließ es aber bleiben, weil ich keine Ahnung hatte, wie gut oder wie schlecht der Junge war. Vielleicht wäre eine Drei für ihn unakzeptabel, weil er nur Einser schrieb?
Vielleicht hatte er eine Mutter, für die ’ne Eins minus der Untergang der Welt bedeutete? Obwohl – ich rümpfte die Nase – ich das nicht annahm; seine Mutter hatte einen völlig normalen Eindruck auf mich gemacht. Aber in einem Menschen kann man sich täuschen; das grausligste Beispiel waren mein Ex-Freund Daniel und meine liebe Ex-Freundin Tina.
In der großen Pause wartete ich auf Melli; ich wäre geplatzt, wenn ich mein Glück nicht mit jemand hätte teilen können.
Wie ich es von ihr erwartet hatte, freute sie sich mit mir und schenkte mir eine ihrer beiden Mandarinen. Dann berichtete ich ihr von Daisy und Sahib und dass Großtante Katrin uns wegen der Katze hatte verlassen wollen.
Melli fand das nicht witzig und sagte gerade, sie wolle sich den zerfledderten Beo anschauen, als Daniel und Tina eng umschlungen übern Hof schlenderten. Die beiden blieben vor uns stehen. Zuerst küssten sie sich, dann summten sie Ihr Kinderlein kommet .
»Was soll das?«, erkundigte sich Melli.
Tina lachte. »Nikolausweg 7. Sagt dir das was, Katinka?« Sie wartete einen Augenblick. »Handynummer 0176-53241.«
Ich stutzte. Woher hatte das Biest Floris Handy-Nummer?
»Ja, ja«, meinte Daniel leichthin, »meine Tina ist nicht zu unterschätzen.«
Die beiden grinsten fies und schlenderten weiter.
Kannte Tina Flori? Hatte sie mal was mit Flori gehabt?
»Nikolausweg 7«, wiederholte Melli. »Komisch. Das ist doch die Adresse von Sandra und Florian Fischer, nicht wahr?«
Ich kniff die Augen zusammen. »Woher weiß Tina, wo Flori wohnt?«
»Das musst du ihn fragen«, erklärte Melli.
»Worauf du dich verlassen kannst, Melanie!«
Ich tippte Flori gleich eine SMS : Ruf mich unbedingt an!
Das Komische war, dass er nicht anrief.
Ich wurde ganz nervös und hörte auf, mich über die tolle Drei zu freuen. Gleich nach dem Unterricht rannte ich auf den Marktplatz – ohne Engelskostüm und ohne Sterne, denn die Vorräte von Steffens Schwester waren aufgebraucht. Das hatte Melli mir gesagt. Für das Mädchen war es ein toller Erfolg, und da Melli und ich das Kapitel Weihnachten in einem Jugendhaus abgehakt hatten, mussten wir uns auch nicht mehr um Einnahmen kümmern.
Ich lehnte an Ferdis Würstchenbude, genehmigte mir eine Rote und biss immer nur kleine Stückchen ab, damit sie länger hielt und das Warten nicht so öde war.
Es wurde zwei, dann halb drei, dann drei Uhr. Obwohl er es versprochen hatte, kam Flori nicht.
Während des Wartens tippte ich jede Menge SMS – keine Antwort.
»Liebeskummer?«, erkundigte sich Ferdi teilnahmsvoll.
»Ich weiß es noch nicht, Ferdi. Der Junge meldet sich einfach nicht.«
»Dafür kann es viele Gründe geben. Vielleicht ist seine Mutter krank geworden, und er muss sich um sie kümmern? Oder er ist selbst krank
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