Schneeflockenbaum (epub)
Seejungfrauen abspenstig gemacht hast.«
»Wirklich nicht? Verstehst du das wirklich nicht?«
»Nein, ich verstehe nicht die Bohne.«
»Wie soll ich dir das nur erklären?«
»Nun los, du bist anerkanntermaßen brillant, versuch’s.«
»Ich habe dich immer schon bewundert.«
»Du mich? Du bist in allem besser als ich.«
»Als wir noch im Kindergarten waren und in den Polder gingen, da bist du ganz seelenruhig in die stinkenden, schlammigen Entwässerungsgräben gestiegen, um all die gruseligen Tiere zu fangen. Manchmal bist du sogar untergetaucht, dann stand ich Todesängste aus. Aber du tauchtest immer wieder auf, mit Wasserlinsen in Augen und Haaren, Hornblatt baumelte dir aus der Nase, in den Händen hieltest du widerliche Tierchen. Und wie du dann strahltest. Du schrecktest vor nichts zurück, während ich mir fast in die Hosen machte.«
»In die Hosen habe ich mir gemacht.«
»Aber nicht weil du Angst hattest, sondern weil du dringend musstest. Das fand ich so unglaublich. Ich hätte mich nie getraut, mit vollen Hosen nach Hause zu kommen. Aber du ... ohne rot zu werden, hast du ganz laut gefurzt. Sogar bei Splunter. Und der prügelte drauflos ... der trommelte praktisch jeden zweiten Tag das Wilhelmus auf deinen Rippen, aber du hast keinen Mucks von dir gegeben, hast nicht geweint, und geschrien hast du auch nicht. Du hast die Prozedur stoisch über dich ergehen lassen ... das habe ich maßlos bewundert. Und als Splunter einmal meine Rippen bearbeiten wollte, da hast du ihn einfach festgehalten, und zwar in Gegenwart des Direktors.«
»Und warum hast du mir dann meine Freundinnen ausgespannt?«
»Du verstehst es noch immer nicht. Ich habe dich regelrecht angehimmelt. In allen Klassen, die wir zusammen besucht haben, warst du der Beste. Ich war nur der Zweitbeste. Du hattest immer die besseren Noten.«
»Aber auch nur, weil du nicht so hart gearbeitet hast wie ich.«
»Ich habe dir immer erzählt, ich würde keine Hausaufgaben machen, aber ...
»Ach, dann hast du mich die ganze Zeit belogen?«
»Nur weil ich dich so bewundert habe. Ich wollte den Abstand verkleinern. Und weil ich dich so bewundert habe, hatte dein Urteil ein besonderes Gewicht. Wenn du also ein Mädchen nett fandest, dann musste es wirklich nett sein, obwohl Mädchen doch eigentlich alle, von der leider so verwegenen Hebe einmal abgesehen, bescheuerte, einfältige Püppchen sind. Nun ja, Frederica ist alles andere als einfältig, wohl aber kalt und berechnend. Wenn du ein Mädchen nett fandest, dann war das für mich, als habe es einen Stempel erhalten, ein Gütesiegel.«
»Auch damals schon, im Sandkasten des Kindergartens?«
»Du hast dort so schön mit dem Mädchen gespielt, dass ich auf der Stelle eifersüchtig war. Im Kindergarten in Melissant hatte ich es nie geschafft, so schön mit einem Mädchen zu spielen.«
»Und dann hast du zielgerichtet ein Spinnengrab gegraben?«
»Ob zielgerichtet, das weiß ich nicht, es war einfach nur ein Einfall, denke ich, so genau kann ich mich nicht mehr dran erinnern, wie ich darauf gekommen bin.«
»Die Erklärung ist simpel: Schon damals warst du brillant.«
»Ach, hör doch auf.«
»Wer von uns beiden ist Professor geworden?«
»Was spielt denn das für eine Rolle? Du hättest auch ganz leicht Professor werden können, aber du wolltest nicht, weil du unsozial und eigensinnig bist, und du willst es immer noch nicht. Aber was soll’s ... Hebe ist tot. Ich habe es kommen sehen, ich denke, sie ist absichtlich so riskant gefahren. Und ich habe noch zu ihr gesagt: ›Diese Depression ist schlimmer als alle zuvor, geh ins Krankenhaus.‹«
Wieder standen wir im Stau. Schneeflöckchen fielen auf die Windschutzscheibe. Es war, als würde es Abend werden.
»Sie war also ein Jahr lang zusammen mit dir in Harvard.«
Jouri wandte den Kopf zur Seite, sah mich kurz an und sagte: »Weißt du noch, dass ich zu dir gesagt habe, du seist der Erste, der von meinem Harvard-Stipendium erfährt?«
»Na klar.«
»Das stimmte nicht. Sie war die Erste, sie wusste schon einen Tag früher davon. Ich habe dich damals angelogen.«
»Das war nicht sehr nett von dir.«
Wir mussten beide lachen. Jouri sagte: »Ich habe sie angerufen, und daraufhin ist sie nach Leiden gekommen. Wir sind zusammen chinesisch essen gegangen, und sie meinte, es wäre vielleicht eine gute Idee, wenn sie versuchte, als Au-pair nach Harvard zu gehen.«
Wir fuhren wieder, obwohl es jetzt heftig schneite.
Leise murmelte er
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