Schneeflockenbaum (epub)
Pfuscher, hatte sich aber während des Kriegs ebenso passiv und unauffällig verhalten wie die meisten anderen Niederländer.
Als ich, obwohl dies jedes Mal auf den heftigen Widerstand meiner Eltern stieß, Jouri immer häufiger zu Hause besuchte, da wurde mir auch immer bewusster, dass die Kerkmeesters arm wie die Kirchenmäuse waren. Um nicht zu verhungern, ließ Jouris Mutter von einem Umschlagbetrieb auf der Govert-van-Wijnkade Ballen mit Erbsen kommen, die siebzig Kilo das Stück wogen. Nicht um sie zu essen, sondern um sie zu sortieren. Jouris Schwestern und er selbst bekamen dann einen Suppenteller mit Erbsen vorgesetzt und mussten die faulen herauslesen. Auch Jouris Mutter half mit, und wenn ich, voller Verlangen nach Jouris Büchern über Arretje Nof, bei ihnen aufkreuzte, bekam ich, als wäre es vollkommen selbstverständlich, einen Teller mit Erbsen in die Hand gedrückt.
Neulich klingelte eine liebreizende junge Dame an meiner Haustür und rasselte tüchtig mit einer Sammelbüchse voller Euromünzen. Ob ich auch für eine unter königlicher Schirmherrschaft stehende Stiftung zur Bekämpfung der Kinderarbeit in der Dritten Welt spenden wollte.
»Liebe Frau«, sagte ich, »als Kind hab ich Erbsen sortiert, Brot ausgefahren, Fleischwaren ausgeliefert, Erdbeeren gepflückt, schwarze Herrensocken gestrickt und noch manches andere gemacht, und von all dieser Kinderarbeit habe ich erstaunlich viel gelernt. Was also ist gegen Kinderarbeit einzuwenden? Als Mozart im zarten Alter von vierzehn Jahren seine wunderschöne Symphonie A-Dur , KV 114, komponierte, leistete er da zweifelhafte Kinderarbeit?«
Ach, so eine Spendensammlerin, die glaubt, in jedem Haus auf Mitbürger zu stoßen, die ihr zustimmen, denn welcher vernünftige Mensch redet heute noch der Kinderarbeit das Wort? Um sie ein wenig aufzumuntern, sagte ich: »Das Erbsensortieren habe ich übrigens gehasst wie die Pest. Das war so langweilige Arbeit, sie wurde schlecht bezahlt, und die faulen Erbsen wurden als Viehfutter weiterverwertet. Auch das habe ich gehasst.«
Die Erbsenballen waren den Kerkmeesters zuwider. Sogar Jouri, und das will was heißen, bekam schlechte Laune, wenn ihm wieder ein Suppenteller voller Sortiererbsen vorgesetzt wurde. Und Schorrie knurrte furchterregend, wenn der nächste Ballen gebracht wurde. Manchmal startete er auch einen Angriff auf die Beine des Lieferanten.
Aus diesem Grund hielt Jouris Mutter nach anderen Einnahmequellen Ausschau. Durch einen Erbfall, bei dem auch der Hausrat verteilt wurde, war sie nicht nur in den Besitz einer dreibändigen Bibelkonkordanz von Trommius und einer zehnbändigen Enzyklopädie gelangt, sondern hatte auch eine Sockenstrickmaschine bekommen. Damit versuchte sie, die Not der Familie zu lindern.
Oh, diese Strickmaschine! Zeit meines Lebens habe ich keinen geheimnisvolleren und faszinierenderen Apparat gesehen. Er war groß, er war schwarz lackiert, er war kreisrund, und man musste ihn mit allerlei Klemmen an der Tischkante befestigen. An der Seite war ein Rad angebracht, das mit einer Kurbel versehen war, die man vorsichtig drehen musste. Bei jedem Schlag des Rads tauchten in der kreisrunden Mulde des Apparats gemeine silberne Nadeln aus der Maschine auf, die sich langsam nach oben bewegten, bis sie den höchsten Stand erreicht hatten, und die anschließend wieder langsam hinabsanken. Über eine lotrecht stehende Stange mit einem Auge wurde das Setter-Set-Garn herangeführt, mit dem die Socken gestrickt wurden.
Wenn man zu stricken begann, sah man schon bald das Bündchen der Socke aus der Maschine herauskommen. Das Bündchen war ein Kinderspiel, aber die Ferse erforderte höhere Strickfertigkeiten. Dann musste gemindert und abgenommen werden, und man durfte das Rad nicht lustig rotieren lassen, sondern musste einen halben Schlag vorwärts und einen halben Schlag zurück drehen. Das war ziemlich kompliziert, und jedes Mal, wenn sie bei der Ferse ankam, färbten sich die Wangen von Jouris Mutter tiefrot. Normalerweise war sie anrührend nett, aber dann wurde sie, wie sie es selbst nannte, »kribbelig«. Sie hatte den gleichen sanften Charakter wie Jouri, sie war nie wütend, übellaunig, verbittert oder unfreundlich, aber die Strumpffersen stürzten sie jedes Mal regelrecht in Verzweiflung. Wenn man bei den Kerkmeesters ankam, und man hörte Schorrie bellen, dann wusste man, dass Jouris Mutter gerade eine Ferse strickte.
Schorries Bellen verstummte, als Jouri sich in die Maschine
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