Schneeflockenbaum (epub)
mit Wilma ein letztes Gespräch.
»Ist es aus zwischen uns?«
»Ja«, flüsterte sie, »es tut mir leid.«
Ich antwortete nicht und sah sie tieftraurig an.
»Jouri ist so nett«, sagte sie.
»Netter als ich?«
Sie nickte.
»Bist du jetzt mit Jouri zusammen?«
Wieder nickte sie.
Auch Jouri stellte ich diese Frage.
»Bist du jetzt mit Wilma zusammen?«
»Wie kommst du darauf?«, fragte Jouri erstaunt. »Mit diesem grobknochigen Schiedamer Schätzchen? Was denkst du von mir?«
Es war nur allzu deutlich. Aus Mangel an Spinnengräbern hatte er sie mithilfe der Auftriebskraft des Wassers von mir wegbewegt. Anschließend hatte er irgendwo im finsteren Schiedam, in den Verbrannten Höfen, so geschickt die Fluse gepustet, dass er wiederholt mit ihr unter dem Laken gelandet war. Ihrer Ansicht nach war sie nun mit ihm zusammen, seiner Ansicht nach ganz und gar nicht. So viel stand aber fest: Mit ihr und mir würde es nie wieder etwas werden. Und ich verstand nur allzu gut, warum. Sie hatte Jouri geprüft, sie hatte ihn sogar geküsst, und Jouri überragte mich nun mal in jeder Hinsicht. Er war charmant, hatte feucht glänzende dunkelbraune Augen, das Lächeln eines Engels und zusammengewachsene Augenbrauen. Er war schlauer als ich, viel schlauer, er furzte nicht, war freundlich und zuvorkommend, und er hatte, obwohl er aus Goeree-Overflakkee stammte, gute Manieren. Das Einzige, was ihm fehlte, war Sinn für wirkliche Musik, aber mir war von vornherein klar, dass dies für Wilma keine Rolle spielte. Wenn diese Geschichte mir eines deutlich machte, dann vor allem, dass jedes Mädchen auf dieser Welt Jouri den Vorzug vor mir gab. Das war an und für sich kein Problem, wenn nur genug Mädchen für mich übrig blieben, für die Jouri sich nicht interessierte. Dennoch wurde mir, auch wenn ich damals noch keinen Zusammenhang zwischen dem Spinnengrab, den Gratisküssen von Ria Dons und dem Flusenpusten sah und ich auch noch nicht die Finessen dieser bizarren Konstellation durchschaute, bereits auf dem Weg von De Lier nach Maassluis bewusst, dass Jouri, um ein Mädchen zu erobern, erst dann seinen überwältigenden Charme in die Waagschale warf, wenn ich in das Mädchen verliebt war und das Mädchen in mich. Er musste sich unbedingt zwischen uns drängen.
Ach, Flusenpusten, das ist schon so lange her. Jetzt kann ich darüber nur noch lächeln, doch damals hat mir das Ganze sehr wehgetan. Doch so weh es auch tat und so wütend ich auch auf Wilma war, Jouri blieb dabei außen vor. Auf Jouri konnte ich nicht wütend sein, auch wenn ich es noch so sehr gewollt hätte. Sobald ich ihn wiedersah, mit ihm sprach, war es, als wäre nie etwas geschehen, dann war er unveränderlich der Jouri, mit dem ich in schlammigen Wassergräben nach Kammmolchen und Stabwanzen gefischt hatte.
Hebe
H ebe wohnte in dem uralten Solex-Dörfchen Maasland, wo ihr Vater Notar war. Durch die Zuidbuurt radelte sie jeden Tag zum Groen-van-Prinsterer-Gymnasium. Unterwegs holte sie auf einem Bauernhof bei der Blauwe Brug ihre Busenfreundin ab. Zusammen fuhren sie dann wie eine unantastbare Zweieinigkeit ohne jede Eile zum Rotterdamseweg. Sie gingen früher aus dem Haus als ich, radelten aber langsamer. Auf halber Strecke, bei einer kleinen Schleuse, holte ich sie jeden Morgen ein. Manchmal schaute ich mich so unauffällig wie möglich kurz zu ihnen um. Hebe hatte ebenso glänzende Lippen wie Jouri. Hebe konnte ebenso bezaubernd lächeln wie Jouri. Ihre Augenbrauen schienen ebenso zusammengewachsen zu sein wie die von Jouri, doch im Gegensatz zu ihm epilierte sie wahrscheinlich das Verbindungsstück über der Nasenwurzel. Wenn ich von Hebe träumte, dann erschien sie mir im Schlaf immer als Jouris Schwester.
Bereits am ersten Schultag war Hebe mir aufgefallen. Ich hegte eine stille Liebe für sie und erzählte Jouri davon nichts. Zu Hebe schaute ich auf. Sie war ein rätselhaftes Wesen aus einer anderen Welt, in der es für solch einen Schlemihl wie mich nicht einmal ein Plätzchen im Heizraum gab. Ein Mädchen wie Hebe, das war für mich unerreichbar.
Eine oder zwei Wochen nach der Tragödie mit Wilma flanierten Jouri und ich in der Pause über den Schulhof. Ich sagte zu Jouri: »Eigentlich hast du recht, Wilma ist ein grobknochiges Schiedamer Scheusal. Nein, dann lieber Hebe.«
»Wer ist Hebe?«
Ich zeigte sie ihm.
»Ach, das ist Hebe? Warum hast du sie früher nie erwähnt? Oder hast du dich erst jetzt in sie verliebt?«
»Ich bin nicht verliebt in
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