Schneeflockenbaum (epub)
viel steht fest: Obwohl ich Jouri dort im Park bei unserem rituellen Gang hinter den Geräteschuppen nur ein wenig anschwärzte, übrigens ohne die Vergangenheit seines Vaters zu erwähnen, hielt Wilma das ein paar Wochen später nicht davon ab, mit ihm auf einer Party Flusen zu pusten.
Auch ich wurde von dem hüpfenden Engelchen eingeladen, das immer hinter Wilma und Carry hertanzte. Bei ihr zu Hause sollte die Party stattfinden.
»Nach Schiedam«, sagte meine Mutter mit deutlicher Missbilligung in der Stimme, »spätabends noch mit dem Fahrrad nach Schiedam?«
»Eine Feier«, flehte ich.
»Kommt nicht in die Tüte«, sagte meine Vater. »Junge Mädchen und junge Burschen, das heißt die Sünde heraufbeschwören.«
»Nur eine kleine Party«, versuchte ich es noch einmal.
»Selbst wenn es zwei kleine Partys zur gleichen Zeit wären«, entschied mein Vater, »wir wollen nicht, dass du dorthin gehst, deine Mutter will es nicht und ich ebenso wenig. Und ich verstehe auch nicht, weshalb du plötzlich so wild auf Feste bist. Wenn deine Mutter oder ich Geburtstag haben und das Haus voller Gäste ist, willst du dich auch nicht zu uns setzen.«
»Dann ist die Luft ganz blau vor Rauch«, erwiderte ich.
»Das würde dich nicht stören, wenn du auch einmal eine Zigarette versuchen würdest.«
»Auf der Hogendorplaan habe ich während der Mittagspause schon mal eine probiert. Ein Junge aus meiner Klasse hat sie mir gegeben. Ich nahm einen Zug und habe mich auf der Stelle übergeben. Außerdem musste ich sofort dringend aufs Klo. Ich bin losgerannt, aber bis zur Toilette in der Schule habe ich es nicht mehr geschafft. In den Sträuchern neben der Schule habe ich meine Unterhose leeren müssen.«
»Erspar mir deine Verdauungsgeschichten.«
»Ich habe mir jedenfalls vorgenommen, nie wieder zu rauchen.«
»Quatsch! Das ist normal, dass man bei der ersten Zigarette Bröckelhusten kriegt. Du musst einfach weiterrauchen.«
»Ich finde Zigaretten ekelhaft.«
»Und so was will mein Sohn sein! Lass dir das gesagt sein: Eine Zigarette, das ist das Höchste, das ist wirklich das Allerköstlichste, was es gibt, dafür begeht man sogar einen Mord. Wenn du den Krieg miterlebt hättest ... da hatten wir keinen Tabak, da haben wir Heckenblätter geraucht, ach, ach, dieser Krieg, da gab’s nur Zigaretten der Marke Buchenlaub. Und wenn man auf der Straße die Kippe einer echten Zigarette fand, dann fiel man fast in Ohnmacht.«
»Bitte, erlaubt mir, zu diesem Fest zu gehen.«
»Nichts da, vielleicht wird dort ja sogar getanzt.«
»Bestimmt nicht.«
»Bestimmt doch«, sagte mein Vater entschieden. »Schiedam, früher hat man nicht umsonst gesagt: ›Viele falsche Fuffziger, wenig schöne Schillinge.‹«
Soweit ich weiß, wurde auf der Party tatsächlich nicht getanzt. Die Gäste verbrachten den Abend mit Flusenpusten, einem Spiel, bei dem die Teilnehmer, wenn ich es richtig verstanden habe, um einen Tisch herum sitzen, und zwar Jungen und Mädchen abwechselnd. Mitten auf dem Tisch liegt eine Fluse, und dann fängt man an, wie wild zu pusten. Fällt die Fluse zwischen einem Jungen und einem Mädchen hindurch vom Tisch, dann müssen die beiden einander unter dem Tisch oder unter einem Tuch einen Kuss geben. Der Clou an dem Spiel ist, dass ein Junge und ein Mädchen, die gern zusammen unter den Tisch kriechen möchten, dies sehr leicht bewerkstelligen können, indem sie absichtlich nicht so kräftig pusten.
Tatsache ist jedenfalls, dass Jouri und Wilma wiederholt unter den Tisch oder unter das Tuch geschickt wurden. Leendert, der zu der Party hatte gehen dürfen, obwohl De Lier weiter von Schiedam entfernt ist als Maassluis, traute sich nicht, mir hinterher zu erzählen, wie oft Wilma und Jouri unter dem Tuch gewesen waren. Nein, das berichtete mir das Hüpfengelchen, einfach so, auf dem Schulhof. Als wollte es sich für etwas rächen, als wollte es etwas zurechtrücken.
Noch am selben Abend radelte ich wütend, verletzt, eifersüchtig, tief enttäuscht nach De Lier. Mein Parkfreund empfing mich an der Hintertür seiner elterlichen Gärtnerwohnung. Als ich ihn fragte, ob Wilma und Jouri einander unter dem Laken jedes Mal geküsst hatten, nickte er nur. Nach dem Nicken radelte ich auf dem überaus langen Burgerweg nach Maasland und anschließend durch den Westgaag und über den Noorddijk zurück nach Maassluis. Selbst als ich total verschwitzt zu Hause ankam, war meine Wut noch nicht verraucht.
Auf der Hogendorplaan führte ich
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