Schneeflockenbaum (epub)
noch nicht, hier muss man die Leute erst noch davon überzeugen, wie wirkungsvoll Flirty Fishing sein kann.«
»Du könntest doch sagen, dass du dich so angezogen hast, um mich, so wie es in Harvard üblich war, leichter von der Straße auflesen zu können, und dass wir anschließend geradewegs ...
»Das wäre gelogen.«
»Nicht doch, du ... nein, zieh dich nicht um, du siehst so gut aus.«
»Wenn wir zu Ichthus gehen, sollte ich wirklich weniger auffällig aussehen.«
Ich hörte sie die Treppe hinaufgehen, hörte sie über mir herumfuhrwerken und dachte traurig: Sie zieht all die herrlichen Sachen aus. Angeblich hat sie sich auf Befehl des Herrn so angezogen, obwohl sie sich heimlich, vielleicht ohne sich dessen bewusst zu sein, danach gesehnt hat, nicht nur in Harvard, wo es offenbar nicht so auffällt, sondern auch hier herrlich nuttig herumzulaufen. Welch eine seltsame, gestörte Frau. Wie kompliziert Menschen manchmal sind.
Dann dachte ich: Mit zu Ichthus? Ich bin doch nicht total bescheuert. Es ist nur allzu deutlich, dass aus dem Vögeln heute nichts mehr wird. Das wäre mit so einem Jesusmädchen erst gestattet, nachdem man verheiratet ist. Tja, dann eben nicht.
Ich stand auf und schlich mich leise aus dem Wohnzimmer. Vorsichtig öffnete ich die Haustür. Draußen regnete es. Ich hob den Kopf gen Himmel und ließ das kalte Wasser über mein Gesicht laufen.
Ich bin schon zweiundzwanzig, dachte ich, und auch wenn ich mit Frederica hinten im Garten ein wenig rumgeknutscht habe, richtig gevögelt habe ich noch nie. Das ist doch wirklich kaum zu glauben.
Flirty Fishing
D amals hatte ich natürlich nicht die geringste Ahnung, was ich mir unter dieser erstaunlichen Jesusbewegung vorstellen sollte. Durch Tina mit ihren Flirty-Fishing -Strümpfen war aber meine Neugierde geweckt. Damals sah ich nur eine Möglichkeit, mehr über Flirty Fishing zu erfahren: Ich musste Jouri fragen. Dem würde es in Harvard bestimmt gelingen, das eine oder andere für mich herauszufinden. Ich schrieb ihm also einen Brief, worin ich ihm berichtete, was so in Leiden los war. Zum Schluss erwähnte ich ganz beiläufig, dass ich einen angehenden Psychologen getroffen habe, der als Austauschstudent in Harvard Mitglied der Flirty-Fishing -Bewegung geworden sei. »Weißt Du mehr über diese Gruppe?«, fragte ich Jouri.
Heutzutage kann man bei Google das Suchwort »Flirty Fishing« eingeben und wird prompt mit allerlei ziemlich widersprüchlichen Informationen zu dieser Bewegung versorgt. Auf der niederländischen Wikipedia -Seite liest man: »Die Bewegung entstand 1968 aus der Strandevangelisation als eine Reaktion auf die Hippiebewegung, die sich gegen die etablierte Ordnung wehrte und mit Drogen und freier Liebe experimentierte. Der Gründer von Flirty Fishing war David Berg (1917–1994) alias Moses Berg. (…) Die Mitglieder waren wegen ihrer Sexualmoral berüchtigt, was sie in manchen Ländern in Konflikt mit Polizei und Justiz brachte.« 1968 entstanden? Meine Begegnung mit Tina fand bereits einige Jahre früher statt, sodass die Jahreszahl wahrscheinlich nicht stimmt.
Das Ganze klingt insgesamt, abgesehen von der Sexualmoral, recht unschuldig, aber auf einer anderen Internetseite liest man: » Flirty Fishing ( FF ing) war eine Form der religiösen Prostitution, die von den Children of God / The Family ab 1974 praktiziert wurde, bis sie 1987 im Zusammenhang mit Aids eingestellt wurde. Flirty Fishing bedeutete: durch den Einsatz von Sexappeal und Geschlechtsverkehr Leute dazu zu bringen, sich zu Gott zu bekehren.«
Man liest auch: »Beim FF ishing bezeugt man die Liebe Jesu durch die ernste Absicht, Sex und Sexappeal als Köder zu benutzen.« Und auf die Frage, ob dies auch bedeute, dass man zu »kissing and light petting« übergehe, lautet die Antwort: »Wir schlagen vor, du gehst nur zu Masturbation, Oralverkehr und echtem Geschlechtsverkehr über. Es geht um alles oder nichts, Halleluja!«
Den Frauen der Bewegung wurde gesagt, sie müssten Gottes Prostituierte sein und »Hookers for Jesus«. Wäre ich, wenn ich das alles damals schon gewusst hätte, öfter durch die Vrouwenkerkkoorstraat geschlendert, oder hätte ich diese Straße gemieden?
Letzteres wohl nicht, aber dennoch: Als ich nach einigen Wochen Antwort von Jouri bekam, erschauderte ich, als ich las:
Elender Scherzkeks! Du versuchst, mich reinzulegen. Du schreibst, Du hättest einen Austauschpsychologen getro ff en. Hier in Harvard kann man exakt recherchieren,
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