Schneeflockenbaum (epub)
zunächst das Leben gemeinsam genießen. Tut das nicht. Seid schlau: Je früher ihr sie bekommt, umso eher seid ihr sie wieder los.«
»Wie das?«, fragte ich erstaunt. »Kinder wird man doch nie wieder los?«
»Ich meine, je früher man sie bekommt, umso eher sind sie aus dem Haus, und man muss sich nicht mehr um sie kümmern. Ich habe Samantha mit neunzehn bekommen und Edytha, als ich einundzwanzig war. Wenn ich also Ende dreißig bin, sind sie erwachsen, und dann habe ich noch ein ganzes Leben vor mir. Wirklich, je früher man sie bekommt, umso besser.«
Daraufhin beugte sie sich zu Katja hinüber und sagte in fast strafendem Ton: »Du wirst im Juli bereits vierundzwanzig. Sieh dich vor, die Zeit drängt.«
»Die Zeit drängt überhaupt nicht«, sagte ich verärgert. »Es gibt kein Gesetz, welches vorschreibt, dass man Kinder früh bekommen muss. Mehr noch, es gibt nicht einmal einen Grund, überhaupt Kinder in die Welt zu setzen. Schon mal was von Überbevölkerung gehört?«
»Ihr wollt doch nicht etwa sagen«, sagte meine Schwägerin und erhob sich dabei drohend aus ihrem Sessel, »dass ihr diese Verantwortung nicht auf euch nehmen wollt? Ihr wollt doch nicht etwa sagen, dass ihr auch so ein schamlos egoistisches Paar seid, das keine Kinder will? Das wäre doch skandalös!«
»Ist man verpflichtet ...?«
»Of course, it’s a duty, a boundless duty. You are entitled to get them, as responsible parents, and, mark my words, the sooner, the better. And, if I may say so again, you are already quite late, Kate.«
»Wäret ihr bitte so nett«, sagte Katja mit überaus freundlicher Stimme auf Englisch, »diese Kleidersäcke augenblicklich wieder ins Auto zu laden?«
Mein Schwager und seine Frau sahen einander fragend an, tranken einen Schluck Tee und ignorierten Katjas Bitte.
Daraufhin sprang Katja aus ihrem Sessel auf und schrie auf Niederländisch: »Ich brauche euer Scheißzeug nicht!«
Ich glaube nicht, dass unsere Schwägerin das Wort »Scheißzeug« kannte, aber Katjas Bruder wusste, was es bedeutet, und er sagte: »Schwester, pass auf, was du sagst.«
»Ich brauch das Scheißzeug nicht!«, schrie Katja erneut. »Was denkt ihr euch eigentlich dabei? Hier mit gammeligen Kindersachen aufzukreuzen, um uns ganz nebenbei zu erklären, ich solle zusehen, dass ich schleunigst in die Wochen komme, denn je früher, je besser, je eher ist man das Problem wieder los, als ob es eine Art unangenehme Pflicht wäre, eine Gefängnisstrafe, die man wohl oder übel hinter sich bringen muss, aber doch bitte so, dass man möglichst wenig darunter zu leiden hat ... was für eine Scheißeinstellung ...
Katja rannte zu den Kleidersäcken und begann, mit ihren Gesundheitsschuhen dagegenzutreten.
»Was bildet ihr euch eigentlich ein? Dass ihr jetzt, nach allem, was ihr früher schon zu deichseln versucht habt, auch noch für mich regeln könnt, ob und wann wir Kinder bekommen? Ständig schubst ihr mich herum, ständig zerrt ihr an mir, um mich ... immer dasselbe ... Zieh doch mal ein hübsches Kleid an, warum versuchst du es nicht mal mit einem schwarzen Lidstrich, kauf dir doch mal etwas elegantere Schuhe ... Alles, alles willst du für mich bestimmen ... nichts überlässt du mir ... Meinetwegen, so ein blöder Lidstrich interessiert mich nicht, versau dir ruhig die Augen mit so einem dreckigen Eyeliner ... Dass du dich aber hier einmischen willst, ach, was sag ich, dass du mir vorschreiben willst, ich solle ... Babys ... Verschwinde bloß mit deinem verdammten Scheißzeug.«
Katja trat weiter gegen die Kleidersäcke, brach dann plötzlich in Tränen aus und rannte in den Flur. Ich hörte das Poltern ihrer stabilen Schuhe auf der Treppe nach oben. Dort angekommen, stampfte sie noch wütender auf den Boden als seinerzeit in der Musikschule. Kurze Zeit später erklangen, auf der Flöte gespielt, die Noten g, e, h. Mir war klar, was sie damit sagen wollte. Und nach »geh« spielte sie, schöner, als ich es je zuvor gehört hatte, das wunderschöne Stück von Escher, Air pour charmer un lézard .
»Ich verstehe nicht«, sagte meine Schwägerin, »warum sie darauf so hysterisch reagiert. Wir bringen ganz unverbindlich ein paar Babysachen mit, weil wir sie nicht mehr brauchen. Sehr behutsam geben wir ihr einen guten Rat. Niemand ist verpflichtet, diesen Rat zu befolgen, obwohl ich ihn immer noch für einen sehr klugen Vorschlag halte.«
»Dennoch würde ich an eurer Stelle die Kleidersäcke wieder
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