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Schneegeflüster

Titel: Schneegeflüster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind , Rebecca Fischer , Steffi von Wolff , Andrea Vanoni
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öffnete ihm mit einem strahlenden Lächeln. Sie war bereits fertig angezogen.
    »Wohin gehen wir?«, fragte sie.
    »Wir könnten zum Donaukanal spazieren und das Flussufer entlanggehen.«
    Charlotte war einverstanden und nahm den Arm, den Richard ihr bot. Die ungewohnte Nähe war fremd, aber durchaus angenehm. Richard roch nach Vanille, Zimt und Seife. Als könnte er ihre Gedanken erraten, sagte der Zuckerbäcker: »Ich habe mich gerade noch gewaschen, aber vor Weihnachten, wenn ich von früh bis spät in der Backstube stehe, kriecht der süße Geruch direkt unter die Haut. Man wird ihn nicht mehr los, egal, wie viel Seife man verwendet.«
    »Ich rieche das gern«, sagte Charlotte. »Besonders das Aroma von Vanille. Konnten Sie denn so kurz vor dem Fest einfach freinehmen?«
    »Um diesen freien Abend habe ich gekämpft. Ich wollte Sie unbedingt wiedersehen.«
    Charlotte errötete. Gut, dass man es im Halbdunkel der Straßenbeleuchtung nicht sehen konnte.
    Eine Weile lang gingen sie schweigend dahin. Dann sagte Richard: »Erzählen Sie mir von den vergangenen Tagen. Was haben Sie erlebt, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben?«

    Charlotte überlegte. Sie hatte nicht vorgehabt, über den grausamen Unfall in der Fabrik zu reden, aber er war das Ereignis, das diese Woche für sie bestimmt hatte. Sie holte tief Luft und begann zu erzählen. Als sie geendet hatte, blieb Richard betroffen stehen: »Das ist ja wirklich schrecklich.«
    Charlotte nickte: »Ich hoffe, dass den Kindern bis morgen etwas Gutes einfällt, um Agnes zu unterstützen. Es würde uns allen helfen, wenn wir nicht bloß zusehen müssten, wie das Unglück noch schlimmer wird.«
    Richard rührte sich nicht. Er schien angestrengt nachzudenken. Endlich sagte er: »Können Ihre Schüler singen?«
    »Selbstverständlich! Warum?«
    »Am letzten Wochenende vor Weihnachten veranstalten wir in der Konditorei immer einen kleinen Umtrunk. Es gibt Weihnachtskekse, Kuchen und den herrlichen Orangenpunsch meiner Mutter. Die meisten unserer Kunden kommen, und es wäre mir eine Ehre, wenn Sie und die Kinder Ihrer Klasse auch dabei wären.«
    Überrascht und verwundert sah Charlotte in die dunkelbraunen Augen des Konditors.
    »Die Kinder könnten vor der Konditorei singen, während die Kunden bei uns einkaufen. Gleichzeitig könnten die Kinder für Agnes und ihre Familie Geld sammeln. Genau wie letzte Woche Am Hof, bloß diesmal für einen Zweck, der es auch wirklich wert ist.«
    »Das ist eine wundervolle Idee«, rief Charlotte begeistert und klatschte in die Hände. Dann hakte sie sich erneut bei dem Konditor unter. Ein feiner Nieselregen setzte ein, aber Charlotte bemerkte ihn gar nicht, sie genoss den Vanilleduft, der von Richard ausging. Schon lange hatte sie sich
nicht mehr so zufrieden und wohlgefühlt wie in diesem Moment.
     
    »Ihr werdet ganz wundervoll singen«, sagte Charlotte. Zunächst waren die Schüler von dem Plan begeistert gewesen und hatten sofort begonnen, Weihnachtslieder auszusuchen. Doch trotz der vielen Proben schrumpfte nun, einige Tage vor dem großen Auftritt, die Zuversicht.
    »Was ist, wenn ich den Text vergesse?«, wollte Rosie, eine aufgeweckte Achtjährige, unsicher wissen.
    »Warum sollte das passieren?«, fragte Charlotte in beruhigendem Tonfall zurück.
    »Ich weiß auch nicht, aber manchmal vergesse ich Dinge einfach.«
    »Du wirst den Text der Weihnachtslieder bestimmt nicht vergessen.«
    Der dürre Franz erkundigte sich ängstlich: »Aber werden die Leute uns wirklich Geld geben, weil wir singen?«
    Charlotte sah ihn eindringlich an: »Selbstverständlich! Ihr singt alle ganz großartig, und die Leute werden sich freuen, wenn sie euch hören.«
    »Ich wünsche mir, dass wir genug Geld sammeln können, dass Agnes nicht in der Fabrik arbeiten muss.«
    Charlotte wiegte nachdenklich den Kopf. Natürlich hoffte auch sie auf so ein Wunder. Aber so viel Geld konnten sie wohl kaum an einem einzigen Nachmittag sammeln.
    »Wir sollten uns freuen, wenn wir Agnes und ihrer Familie ein üppiges Weihnachtsessen kaufen können«, sagte Charlotte.
    »Eine Weihnachtsgans und glasierte Äpfel«, rief Franz.
    »Einen fetten Karpfen mit ganz vielen Erdäpfeln!«

    »Einen Schweinsbraten mit Knödel!«
    »Fräulein Schwarz, glauben Sie wirklich, dass wir das schaffen?«
    »Aber natürlich!«, sagte Charlotte überzeugt.
     
    Am Samstag war es endlich so weit. Charlotte hatte den Milchmann überreden können, die Kinder unentgeltlich in die Stadt zu

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