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Schneegestöber (German Edition)

Schneegestöber (German Edition)

Titel: Schneegestöber (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophia Farago
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betrachtete sie ihre Garderobe, die dicht gedrängt nahezu den gesamten Schrank füllte. Tante Jane war nicht knausrig, wenn es darum ging, ihre Nichte standesgemäß auszustatten. Zahlreiche Tageskleider in zarten Streifen oder kleingeblümtem feinem Musselin hingen neben den beiden Reitkleidern aus modischem Samt. Das eine war im Husarenstil geschnitten mit goldenen Knöpfen und Epauletten an den Schultern, wie es das Lady’s Journal in einer seiner letzten Ausgaben als den neuesten Schrei der Mode angepriesen. Die Abendkleider waren in Pastellfarben gehalten und von schlichter Eleganz. Alle mit kleinem Ausschnitt, wie es sich für ein Mädchen ziemte, dessen Debüt in London noch bevorstand und das seinen Knicks vor der Königin noch nicht absolviert hatte. Die Hutablage quoll über vor reizenden Kreationen, mit bunten Bändern oder kleinen Blümchen aufgeputzt, die der Garderobe erst den richtigen Schliff gaben. Neben diesen Träumen aus Musselin, Tüll und Voile nahmen sich die Kleider ihrer Freundin besonders trostlos aus. Mit spitzen Fingern ergriff sie Mary Anns einziges Abendkleid. Es war aus einem weinroten Wollstoff, hochgeschlossen mit langen Ärmeln, die eng um das Handgelenk geknöpft wurden. Verächtlich rümpfte sie die Nase. Es war ausgeschlossen, daß Mary Ann diese langweilige Toilette beim Ball von Mrs. Nestlewood tragen konnte. Nie und nimmer würde es ihr damit gelingen, das Herz von Reverend Westbourne zu erobern. Nein, Annie brauchte eine aufregende Kreation, die die Vorzüge ihrer Figur zur Geltung brachte. In einer Farbe, die die Makellosigkeit ihres Teints unterstrich, die die Blicke der Herren magisch auf sich zog, die… »Grün!« rief Kitty unvermittelt aus.
    Mary Ann hatte sich in der Zwischenzeit wieder ihrer Lieblingslektüre, dem Register adeliger Familien, zugewandt. Die kritischen Blicke, mit denen die Freundin ihr Abendkleid gemustert hatte, waren ihr völlig entgangen. Nun fuhr sie von ihrem Buch auf und hörte erstaunt zu, als diese fortfuhr: »Smaragdgrün. Der Ausschnitt auf keinen Fall zu klein. Am besten, man säumt ihn mit einem Satinband. Oder meinst du, daß dein Dekolleté besser zur Geltung kommt, wenn man den Ausschnitt mit zarten Perlen bestickt? Du solltest Mrs. Millcock fragen. Deine Haare dürfen auch nicht so streng nach hinten gebunden werden, wie du sie in der Schule trägst. Am besten, wir lassen sie locker auf die Schultern rieseln und flechten ein grünes Band hinein. Ja, das kann ich mir gut vorstellen. Ich sehe dich richtig vor mir. Du siehst phantastisch aus.«
    Mary Ann klappte ihr dickes Buch mit einem lauten Klatschen zu: »Wovon sprichst du um Himmels willen?«
    »Von deinem Ballkleid naturalmente !« rief Kitty aus. »Ich spreche von dem Ballkleid, das du bei Mrs. Nestlewood tragen wirst. Dachtest du denn, ich würde dich dort in Sack und Asche erscheinen lassen? Du wirst natürlich eine hinreißende Kreation tragen. Deinem guten Bernard wird der Mund vor Staunen offen stehenbleiben.«
    Vor Mary Anns Augen erschien eine aufregende Vision aus schimmernder grüner Seide. Die klugen blauen Augen des Reverend blickten voll Bewunderung und Ehrfurcht auf ihre elegante Gestalt. »Miss Rivingston!« hörte sie ihn ausrufen. »Wie konnte mir nur bisher entgehen, daß Sie eine Schönheit sind?«
    Mary Ann rieb sich aufgeregt die Hände: »Wie komme ich zu diesem grünen Kleid?« erkundigte sie sich mit unüberhörbarer Vorfreude.
    »Du mußt ohne weiteren Aufschub Mrs. Millcock aufsuchen. Natürlich ist die Zeit schon äußerst knapp. Und doch sollte die Schneiderin in der Lage sein, in drei Tagen ein passendes Kleid für dich anzufertigen. Am besten du gehst sofort zu Mrs. Clifford und bittest sie, daß Harris dich nach Bath bringen darf. Ach, wenn wir doch schon wieder einen eigenen Pferdeknecht hätten. Jetzt beginne ich mich selbst schon mit dem Gedanken anzufreunden, daß Tante Jane einen ihrer Bediensteten schickt. Ein eigener Pferdeknecht ist jedenfalls besser als gar keiner.«
    »Mrs. Millcock!« rief Mary Ann. »Ich kann mir doch von meinem Taschengeld nie im Leben eines ihres Kunstwerke leisten.«
    »Ich werde dir etwas von meinem Geld leihen«, erklärte Kitty und eilte zu ihrem Sekretär. Mit geübtem Griff klappte sie ihn auf und öffnete die Geheimlade, die ihr als Versteck für ihre Barschaft diente. Mit skeptischem Blick entnahm sie einige Scheine: »Leider ist es nicht viel. Wie du weißt, ist mein nächster Scheck Anfang Dezember fällig.

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