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Schneegestöber (German Edition)

Schneegestöber (German Edition)

Titel: Schneegestöber (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophia Farago
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biß sich auf die Lippen, sagte jedoch nichts. Wie hätte sie Mrs. Clifford auch erklären können, daß ein derartiges Lob sie nicht stolz, sondern wütend machte? Sie war nun einundzwanzig Jahre alt, viel zu alt für diese Schule. Viel zu alt, um sich über ein Lob zu freuen, das für eine Vierzehnjährige angebracht gewesen wäre. Mrs. Clifford sollte ihrem Bruder etwas ganz anderes schreiben. Nämlich, daß es seine Pflicht wäre, sie endlich von hier wegzuholen und ihr ein standesgemäßes Leben zu bieten. Er sollte endlich ihr Debüt in London ausrichten, sie der Königin vorstellen…
    Mrs. Clifford sah die erröteten Wangen und lächelte mild. Es war reizend anzusehen, daß sich das liebe Ding so über ihr Lob freute. Sie beschloß, noch ein Schäuflein nachzulegen: »Und ich sehe auch, daß du einen wohltuenden Einfluß auf Charlotta ausübst«, setzte sie daher lobend hinzu. »Ihr undamenhaftes Temperament wird durch deine wohltuende Zurückhaltung in wünschenswerte Bahnen gelenkt. Ich darf gar nicht daran denken, mit welch unpassenden Ideen, mit welch verwilderter Erziehung Charlotta einst dieses Haus betrat…« Sie unterbrach sich und schüttelte aufseufzend den Kopf. Nun war es an Mary Ann, wirklich zu erröten. Wenn Mrs. Clifford wüßte, welch unpassende Idee Kitty derzeit im Sinn hatte. Was würde sie wohl dazu sagen, wenn sie wüßte, daß Kitty sich heimlich aus dem Internat schleichen wollte, um an einem Ball teilzunehmen! Und wenn sie darüber hinaus wüßte, daß die eben so hoch gelobte Mary Ann weit davon entfernt war, ihrer Freundin diesen Plan auszureden.Nein, daß sie sie vielmehr darin unterstützte. Mary Ann beschloß, die Unterredung so rasch wie möglich zu beenden, um nicht Gefahr zu laufen, ein schlechtes Gewissen zu bekommen.
    »Ich werde Ihren Brief an Lady Farnerby gerne zur Post bringen«, versprach sie.
    »Ich weiß, daß ich mich auf dich verlassen kann…«, Mrs. Clifford nickte. »Sag Harris, er soll anspannen. Heather soll dir eine Decke und einen heißen Ziegelstein in das Fahrzeug legen.«
    Mary Ann bedankte sich artig, knickste und eilte in ihr Zimmer. Es war höchste Zeit, daß sie sich für die Fahrt in die Stadt umkleidete. Doch zuerst mußte sie noch das Hausmädchen Heather zu den Ställen schicken. Ein heißer Ziegelstein würde ihre Füße trotz des kalten Wetters warmhalten. Was war nur über Mrs. Clifford gekommen? Einen derartigen Luxus gönnte sie ihren Schülerinnen nur zu besonderen Anlässen.
    Mit den Füßen auf dem Ziegelstein fand Mary Ann es einigermaßen angenehm warm in der Kutsche. Sie hatte eine Decke um ihren Körper geschlungen und bis zur Brust heraufgezogen. Es war ein kalter Novembertag. Wenn man den Worten des alten Kutschers glauben konnte, dann würde es bald noch kälter werden. Ein langer, eisiger Winter stand bevor. »Glauben Sie mir, Miss Mary Ann«, hatte dieser mit mürrischem Blick zum Himmel gemeint, als er ihr in die Kutsche half: »Es dauert nicht mehr lange, und wir bekommen Schnee. So viel Schnee wie wir seit Jahren nicht mehr gehabt haben.« Er deutete mit der Hand auf sein rechtes Bein, das er beim Gehen deutlich nachzog: »Seit mir diese verdammten Franzosen das Bein zerschossen haben, kann ich jeden Wetterwechsel deutlich spüren, wissen Sie, Miss Mary Ann.« Dann hatte er die Wagentür geschlossen, den Kutschbock erklommen und die Pferde in Bewegung gesetzt.
    Mary Ann griff nach ihrem Retikül. Da war also Mrs. Cliffords Brief. Und daneben lagen die Geldscheine, die Kitty ihr gegeben hatte. Ehrfürchtig nahm sie das Bündel heraus und zählte es nach. So viel Geld! Was für eine Verschwendung, es für ein einziges Ballkleid auszugeben. Als sie von der Unterredung mit Mrs. Clifford zurückgekehrt war, hatte sie Kitty noch einmal gefragt, ob nicht die Hälfte desBetrages für ein Ballkleid ausreichen sollte. Doch diese hatte ihren Einwand mit einer energischen Handbewegung vom Tisch gewischt: »Denkst du denn, dein guter Bernard gerät in Entzücken, wenn du aussiehst wie im Schulzimmer? Nein, nein, du brauchst ein neues, aufregendes Kleid. Und ich habe auch schon einen bestimmten Stoff dafür im Auge. Mrs. Millcock hat ihn mir gezeigt, als ich das letztemal in ihrem Salon war. Es ist ein schwerer Brokat aus leuchtendem Grün, das genau zu deinen Augen passen müßte. Mit goldenen Fäden durchwirkt, die im Schein der Kerzen Funken sprühen werden.« Kitty hatte vor Begeisterung in die Hände geklatscht: »Der gute Reverend wird

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