Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schneegestöber (German Edition)

Schneegestöber (German Edition)

Titel: Schneegestöber (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophia Farago
Vom Netzwerk:
Finger zu wickeln. Sicher war er einsam in seinem großen Haus. Er hatte nie geheiratet und daher auch keine Kinder. Würde es ihn da nicht glücklich machen, zwei so hübsche Ersatztöchter ins Haus schneien zu sehen, die Leben in seinen trüben Alltag brachten? Sicher waren die Bälle in London atemberaubend und aufregend – kein Vergleich mit dem mißlungenen Fest bei Lady Nestlewood. Sie würden tanzen und sich vergnügen. Und Kitty würde den großen Gentleman mit den aufregenden grauen Augen und den langen Locken wiedertreffen. »Kennen wir uns nicht, Mylady?« würde er fragen und sie aufs Tanzparkett entführen.
    In diesem Augenblick klopfte es an der Tür, und die beiden fuhren erschrocken in ihren Betten auf. Mrs. Clifford persönlich betrat ihr Zimmer. Die Kerze in ihrer Linken beleuchtete ihr blasses Gesicht, das sich nun bleich und gespenstisch von der Umgebung abhob. »Ihr habt euch also tatsächlich bereits zur Ruhe begeben«, stellte sie fest, und ihre Stimme klang erleichtert. Seit jenem Abend, an dem ihre Schülerinnen heimlich das Haus verlassen hatten, hegte sie stets die Befürchtung, dieses unselige Ereignis könnte sich wiederholen. Die Mädchen dankten Al im stillen, daß er sie davon abgebracht hatte, noch an diesem Abend aufzubrechen. Hätte Mrs. Clifford jetzt Alarm geschlagen, hätten sie nur eine Stunde Vorsprung gehabt. Sie wären noch rascher aufgegriffen worden, als sie dies befürchteten.
    »Ich komme, um zu sehen, daß ihr keine Dummheiten anstellt«, erklärte Mrs. Clifford mit strenger Stimme. »Soeben ist ein Bote gekommen, der Lady Farnerbys Kutsche für morgen vormittag ankündigt. Du kannst bereits beginnen, dich von deiner Freundin zu verabschieden, Charlotta.« Mrs. Clifford trat ins Zimmer, um die Vorhänge zuzuziehen, und blies die Kerze auf Kittys Nachttisch aus: »Gute Nacht«, wünschte sie. Dann wartete sie, bis die beiden Mädchen den Gruß erwidert hatten, nickte gnadenvoll und rauschte aus dem Zimmer.
    Es war früh am Morgen, als die beiden Mädchen aufbrachen. Das Schulhaus lag noch in friedlicher Ruhe. Nicht einmal hinter den Fenstern der Dienstbotenzimmer zeigte das Flackern von Kerzen an, daß sich die Bewohner für ihre tägliche Arbeit zurechtmachten. Al hatte die Pferde bereits vor die Kutsche gespannt und den Wagen auf den Vorplatz hinausgeführt. Nun half er den beiden beim Einsteigen. Dankbar registrierten sie, daß warme Decken bereitlagen. Auch heiße Ziegelsteine hatte ihr fürsorglicher Diener nicht vergessen. Al wollte soeben den Kutschbock erklimmen, als sich der Schlag neuerlich öffnete und Kittys Kopf im Türspalt erschien. »Ich habe mich doch entschieden, Salomon mitzunehmen«, verkündete sie zu seiner Überraschung. »Wir werden das Pferd an die Kutsche anbinden. Ich bringe es einfach nicht über mich, ihn hierzulassen.«
    Mit raschen Schritten war Al an ihrer Seite: »Das können Sie doch nicht im Ernst meinen, Missy«, widersprach er energisch. »Was glauben Sie denn, was für ein seltsames Gespann wir abgeben würden? Die Alte, ich meine die ehrenwerte Mrs. Clifford brauchte sich doch nur umzuhören, und jeder, der unseren Weg kreuzt, könnte sich an uns erinnern. Sie schnappt uns, ehe wir Bradford erreicht haben.«
    »Ja wirklich, Kitty«, meldete sich nun auch Mary Ann zu Wort. »Al hat recht. Wir können ja Salomon sofort nachkommen lassen, wenn wir uns bei deinem Onkel eingerichtet haben. Al muß ohnehin noch einmal zurückkehren, um unsere Kleider zu holen. Um deine Kleider zu holen«, verbesserte sie sich. »Denn meine grauen Gewänder möchte ich mein Leben lang nicht mehr zu Gesicht bekommen.«
    Kitty schien noch nicht ganz überzeugt.
    Al warf ihr einen mitfühlenden Blick zu: »Ich weiß, wie sehr Sie an dem Pferd hängen, Missy. Ich bin sicher, Harris weiß das auch, und er wird besonders gut auf Salomon achtgeben.« Dann drehte er sich um, griff hinter sich auf den Kutschbock und holte eine weiße Serviette hervor, deren Enden zu einem Knoten verschlugen waren. »Ich habe hier etwas für euch«, erklärte er und reichte Kitty vorsichtig die Enden des Tuches: »Schokoladenkuchen. Möge es ihm gelingen, euch die Abreise zu versüßen.«
    Während Mary Ann sich freudig bedankte, rümpfte Kitty die Nase.
    »Heathers Schokoladenkuchen etwa?«
    Al grinste: »Heathers Schokoladenkuchen«, bestätige er. Dann schloß er vorsichtig den Schlag, um nicht allzuviel Lärm zu verursachen, und stieg behende auf den Kutschbock hinauf.

IX.
    Sie

Weitere Kostenlose Bücher