Schneegestöber (German Edition)
erteilen.«
Kitty überhörte geflissentlich diese Einwände. »Nur eine Nacht? Das ist gut. Dafür reicht mein Geld. Sind Sie sich sicher, daß wir nur eine Übernachtung brauchen, Al?«
Dieser antwortete nicht sogleich. Schweigend betrachtete er Kittys Gesichtszüge, als könne er darin lesen, was seine Herrin vorhatte. Schließlich wandte er sich ab und blickte fragend zu Mary Ann:»Können Sie mir vielleicht sagen, was hier gespielt wird, Miss Mary Ann?« erkundigte er sich. »Wenn ich schon mitspielen soll, würde ich gerne die Regeln kennen.«
»Also, Al, es ist so…«, begann die so Angesprochene zögernd zu antworten.
»Kein Grund, ihm alles zu erzählen«, unterbrach Kitty sie streng. »Er hat zu tun, was man ihm befiehlt. Und nur zu antworten, wenn er gefragt ist.«
»Wenn das so ist, such ich mir ’ne neue Herrschaft«, antwortete der Pferdeknecht gelassen. Er setzte seine Mütze auf die blonden Lokken, hob grüßend die Hand und wandte sich zum Gehen.
Kitty konnte es nicht fassen. »Werden Sie wohl hierbleiben, Sie undankbarer Kerl!« rief sie bebend vor Zorn.
»Ja, wirklich«, sagte nun auch Mary Ann. »Bitte bleiben Sie hier, Mr. Brown. Wir brauchen Ihre Hilfe.«
Dieser höflich vorgebrachten Bitte konnte sich der junge Bursche nicht entziehen. Aufseufzend drehte er sich um und nahm auf einem Stuhl Platz, auf den Mary Ann mit freundlichem Lächeln gedeutet hatte. »Ich weiß gar nicht, ob ich’s wissen will«, sagte er schließlich ernst. »Mir scheint, Sie haben etwas vor, was einen ganz schönen Wirbel verursachen wird. Und da will ich lieber nicht mit hineingezogen Werden. Schadet meinem guten Ruf, wissen Sie.« Nun erhellte sich seine Miene, und ein vergnügtes Grinsen erschien auf seinen Lippen: »Auch ein Stallbursche muß auf seinen guten Ruf achten.«
»Vor allem aber muß er auf seine gute Stellung achten«, wies ihn Kitty zurecht.
»Ha, gute Stellung!« entgegnete Al spöttisch. »Weiß ich denn, daß ich bei Ihnen eine gute Stellung habe? Hab noch keinen lumpigen Cent gesehen, seit ich in Ihren Diensten bin. Außer dem, was mir Miss Mary Ann gegeben hat, selbstverständlich.«
»Soll ich Ihnen einen Vorschuß geben, damit Sie sich ebenso aus dem Staub machen wie bei Ihrem vorigen Dienstherrn?« erkundigte sich Kitty böse.
Al knirschte mit den Zähnen, sagte jedoch nichts.
Mary Ann hielt es für angebracht, die Streithähne zu besänftigen. Die Zeit drängte. In Kürze würde Mrs. Clifford eine Erklärung überdie Einstellung eines Pferdeknechts verlangen, den Lady Farnerby allem Anschein nach gar nicht kannte. Die Kutsche, die Kitty nach Schottland bringen sollte, wurde für die nächsten Tage erwartet. Konnte man da wirklich die kostbare Zeit mit Streiten vergeuden? Zudem hatte sich Reverend Westbourne für den kommenden Nachmittag zu einer Schachpartie angesagt. Keinesfalls wollte sie diesen Mann treffen. Keinesfalls weitere selbstgerechte Rügen über sich ergehen lassen. Zwei Jahre lang war der Reverend ihr Idol gewesen. Es tat weh, ihn so tief stürzen zu sehen.
»Sie werden Ihr Geld bekommen, Mr. Brown«, sagte sie deshalb mit besänftigender Stimme. »Sie sind ja noch keinen Monat bei uns. Miss Stapenhill zahlt ihre Bediensteten immer pünktlich, das versichere ich Ihnen. Doch nun hören Sie zu: Wir haben beschlossen, nach London zu reisen. Und zwar noch heute.«
»Noch heute?« Nun war auch Kitty erstaunt.
Mary Ann nickte. »Seht mal, Mrs. Clifford hat erfahren, daß Al nicht von Lady Farnerby angestellt wurde. Es ist zu befürchten, daß sie ihn noch heute auf die Straße setzt. Dem müssen wir zuvorkommen.«
»Du hast recht!« rief Kitty aus. Sie sprang auf und öffnete den Kleiderschrank: »Wir werden nur das Nötigste mitnehmen. Nur soviel, wie im Inneren der Kutsche Platz hat und wir noch bequem sitzen können…«
»Aber Miss Mary Ann, Missy, ich will auf keinen Fall der Grund sein, daß Sie Ihre Schule so überstürzt verlassen. Um Himmels willen, glauben Sie mir, ich finde mich allein zurecht. Bitte…«, stammelte Al, völlig aus der Fassung gebracht.
»Sie finden keine Stelle im Winter«, entgegnete Kitty energisch und beäugte kritisch ihr dunkelblaues Reisekleid aus schwerem Samt.
»Ich denke, daß sich das für unsere Fahrt am besten eignet. Wo ist die Reisetasche?«
»Unser Entschluß steht fest, Al Brown. Wir reisen nach London«, erklärte Mary Ann, die den fassungslosen Blick des Pferdeknechts aufgefangen hatte. »Wir können nicht länger in
Weitere Kostenlose Bücher