Schneegestöber (German Edition)
der Schule bleiben, dafür gibt es gewichtige Gründe, die wir Ihnen später genau erklären werden…«
»Wozu soll das gut sein…«, warf Kitty patzig dazwischen.
»Missy!« murmelte Al drohend.
Kitty blickte sich um. Für einen kurzen Moment traf ihr Blick auf seine stahlharten blauen Augen. Es schien, als würden sie ihre Kräfte messen. Ein Kampf gegen einen Stallburschen, sie mußte verrückt sein.
»Wir werden nach London reisen, um Miss Kittys zweiten Vormund aufzusuchen«, erklärte Mary Ann, die von diesem Zwischenspiel nichts mitbekommen hatte. »Den Earl of St. James. Er wohnt in der Brook Street. Wir fragten uns, ob Sie…«
»Der Earl of St. James!« rief Al ungläubig aus und fuhr herum. »Der Earl of St. James ist Ihr Vormund, Missy?«
»Sie kennen den alten Herrn?« erkundigte sich Mary Ann verwundert.
Al antwortete nicht sogleich. Mit großen Augen und offenem Mund starrte er die Damen an. Kitty rüttelte ihn unsanft am Ärmel. »Was soll das Theater?« erkundigte sie sich neugierig. »Kennen Sie meinen Vormund etwa wirklich?«
»Kennen Sie ihn denn?« lautete die Gegenfrage. Al wartete interessiert auf Kittys Antwort.
»Nein. Ich hatte bisher noch keine Gelegenheit, ihn kennenzulernen. Es war Tante Jane, die sich um mich kümmerte, als ich aus Spanien kam. Sie ist seine Halbschwester.«
»Aber Sie kennen den Earl, geben Sie’s zu, Al. Sie haben den alten Herrn bereits gesehen. Was ist er für ein Mensch? Wie kommt es, daß Sie ihn kennen?«
»Na ja, ich kenne ihn ja gar nicht wirklich.« Mary Anns Frage verursachte Al offensichtliches Unbehagen: »Hab ihn bloß ein-, zweimal gesehen. Von der Ferne, versteht sich. Man kommt ja doch nicht in die Nähe von die großen Herrn…« Der Bursche war vor Aufregung wieder in den breitesten Dialekt verfallen.
Kitty war viel zu neugierig, um die Sätze ihres Dieners zu verbessern, wie sie es sonst gerne tat: »Wo war das?« wollte sie wissen. »In London?«
Al nickte. »War dort eine Zeitlang Stallbursche«, erklärte er mit beiläufigem Tonfall.
»Sie waren in London Stallbursche?« wiederholte Mary Ann erstaunt.»Wie kam es dann, daß Sie sich bei einem Bauern in dieser Gegend verdingen mußten? Das ist doch eine viel niedrigere Arbeit.«
»Mein Herr hatte mich rausgeschmissen«, erklärte Al und bemühte sich sichtlich, das Thema zu wechseln. »Wenn Sie heute noch loswollen, dann müssen Sie rasch Ihre Tasche packen…«
»Bei wem standen Sie in Diensten?« unterbrach Kitty ihn. »Ich meine, in London. Wer war Ihr Herr?«
Al seufzte. »Viscount Lornerly«, antwortete er knapp.
»Viscount Lornerly!« rief Kitty aus. »Der Lornerly, dessen Pferd letztes Jahr Ascot gewonnen hat?«
Al nickte mit unverkennbarem Stolz.
»Viscount Lornerly ist der Sohn des Duke of Windon, nicht wahr?« erkundigte sich Mary Ann, die sich an die Schulstunden von Miss Chertsey erinnerte.
Al nickte wiederum: »So ist es, Miss Mary Ann.«
Diese wollte ihn eben fragen, wie er dazu kam, in einem derart vornehmen Haus zu dienen, als ein Klopfen an der Tür sie herumfahren ließ. Kitty beeilte sich, ihre Reisetasche unters Bett zu schieben. Heather trat ein, ein schweres Tablett in ihrer Rechten. »Ich habe Ihnen den Tee heraufgebracht, Miss Kitty. Und für Sie auch, Miss Mary Ann, damit die arme Miss Kitty nicht so alleine essen muß. Ah, Sie sind auch da, Mr. Brown«, stellte sie entzückt fest und schenkte ihm einen koketten Augenaufschlag. Dann stellte sie das Tablett mit der schweren Silberkanne und den zahlreichen kleinen Kuchen auf den Tisch vor der kleinen Kommode. Sie rückte die Teller zurecht und goß die dampfend heiße Flüssigkeit in die zierlichen Tassen.
»Es ist sehr nett, daß du an mich gedacht hast«, erklärte Mary Ann freundlich.
Heather knickste und wollte eben das Zimmer verlassen, als sie sich anders besann: »Kommen Sie mit mir, Mr. Brown? Ich habe ein großes Stück Kuchen für Sie auf die Seite gestellt. Schokoladenkuchen, Ihr Lieblingsgebäck.« Sie blinzelte dem Pferdeknecht verschwörerisch zu.
»Miss Heather, Sie sind ein Schatz!« rief Al fröhlich und machte sich daran, ihr zu folgen.
»Halt, hiergeblieben!« befahl Kitty entrüstet. »Sie haben jetzt keine Zeit, einem Weiberkittel nachzujagen!«
»Kitty!« rief Mary Ann entsetzt.
»Missy!« rief Al, scheinbar ebenso schockiert. Doch das vergnügte Blinzeln in seinen Augen strafte seine Stimme Lügen.
»Du kannst gehen, Heather«, meinte Mary Ann und schob das Mädchen zur
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