Schneegestöber (German Edition)
so klug war?« äußerte sie mit sichtlicher Skepsis und ließ ihren Blick über die schmucklose Fassade des Wirtshauses streifen. Der breite niedrige Bau schien sauber und gut erhalten. Aus den zahlreichen Kaminen stieg dichter Rauch in den Nachthimmel. Al schien eine gute Wahl getroffen zu haben.
Kitty beschloß, den Einwand ihrer Freundin zu überhören, und griff mit energischer Bewegung nach ihrer Tasche. Diese war viel schwerer, als sie in Erinnerung hatte. Stöhnend schleppte sie sie zur Eingangstür. Mary Ann beeilte sich, es ihrer Freundin gleichzutun. Kitty drückte die Klinke hinunter und trat in die hell beleuchtete Gaststube ein. Warme, rauchige Luft strömte ihr entgegen. Sie hustete und blinzelte, und es dauerte geraume Zeit, bis sie sich an die stickige Umgebung gewöhnte. Und doch war es besser, als draußen in der kalten Nacht zu frieren. Sie sehnte sich nach einem warmen Bad und einem weichen, gut durchlüfteten Bett. Mary Ann war hinter ihr in den Raum getreten und hatte die Tür hinter sich zugemacht. Nun standen sie da, die Taschen neben sich abgestellt, und blickten sich etwas unsicher im Gastzimmer um.
»Ja, wen haben wir denn da?« rief eine männliche Stimme von einem der Tische am hinteren Ende des Raumes her. Dort saßen mehrere Männer in fröhlicher Runde beisammen. Halb geleerte Bierkrüge zeigten, daß sie schon länger dem Alkohol zugesprochen haben mußten. Einige von ihnen hielten Karten in der Hand, doch es war offensichtlich, daß das Eintreten der Mädchen sie von ihrem Spiel ablenkte. Sie hatten sich zur Tür umgewandt und musterten Mary Ann und Kitty mit unverhohlener Neugierde. Ein dicker Geselle, der an der Stirnseite des Tisches saß, schob seinen Hut in den Nacken und stieß einen anerkennenden Pfiff aus: »Das sind aber hübsche Gäste, eine wahre Wohltat fur’s Auge, hab ich nicht recht, Jack?«
»Und nicht nur fur’s Auge, möchte ich wetten«, lautete die Antwortseines Freundes, die von den Kumpanen mit lautem Lachen und Gegröle aufgenommen wurde.
Der Dicke machte eine einladende Handbewegung. »Setzt euch her zu uns, Mädels!« rief er gut gelaunt. »Wir spendieren euch was zu trinken.«
»Aber nur, wenn ihr brav seid«, verkündete der hagere Mann mit den Bartstoppeln auf den eingefallenen Wangen, den sie Jack nannten.
»Du wirst schon dafür sorgen, daß sie brav sind, da hab ich keine Angst, Jack«, kicherte ein dritter. Der Ausspruch veranlaßte seine Gefährten abermals, in lautes Lachen und Grölen auszubrechen.
Dieser Lärm erregte die Neugierde der Wirtin, die in die Küche geeilt war, um nach der Suppe zu sehen. Nun kam sie ins Gastzimmer zurück, um zu schauen, was die Aufmerksamkeit ihrer Stammgäste erweckt hatte. Die Wirtin war eine energische ältere Frau von enormen Ausmaßen. Sie trug eine weiße, nicht mehr ganz frische Schürze über ihrem dunkelbraunen Wollkleid, die kurzen Beine steckten in derben Lederstiefeln. Ihre fettigen grauen Haare waren mit jahrelang geübten Griffen im Nacken zu einem Kranz aufgesteckt. Darüber thronte eine große schmucklose Haube in einem verwaschenen Lila. Als sie nun die beiden Mädchen mit verstörten Gesichtern neben der Tür stehen sah, da stemmte sie energisch ihre fleischigen Arme in die Seiten. Mit vor Empörung aufgeblasenen Backen kam sie näher: »Ihr kommt mir nicht über die Schwelle, ihr Dirnenpack!« rief sie aus. Ihre Stimme klang rauh und dunkel wie die eines Mannes. »Wo glaubt ihr denn, daß ihr hier seid? Dies hier ist ein anständiges Haus. Geht hinüber zum alten Bearloc von den sieben Mooren. Dort gehört euresgleichen hin.« Mit energischer Geste wies sie zur Tür.
Kitty schnappte entrüstet nach Luft: »Wie können Sie es wagen!« rief sie aus. Ihre Augen funkelten, und ihre Wangen waren nun nicht nur von der Kälte gerötet: »Sie wissen wohl nicht, wen Sie vor sich haben. Mein Name ist Stapenhill. Ich bin die Tochter Seiner Gnaden des Herzogs von Elmington. Und das ist…« Sie wollte eben Mary Ann vorstellen, die neben ihr stand und betreten zu Boden blickte. Doch die Wirtin ließ sie nicht aussprechen: »Ja, ja, ja und ich bin Queen Charlotte!« spottete sie und blickte mit beifallheischender Miene zu ihren männlichen Gästen hinüber.
Diese amüsierten sich königlich über das Spektakel, das sich ihnen bot, klatschten vor Vergnügen in die Hände und erfreuten sich gegenseitig mit derben Witzen.
»Glauben Sie wirklich, Miss, ich lasse mich für blöd verkaufend« fuhr die
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