Schneegestöber (German Edition)
Wirtin fort und griff mit ihren dicken Fingern nach Kittys Reisetasche. »Welche Herzogstochter kommt denn in ein Wirtshaus geschneit, frage ich Sie. Ohne Dienstboten, ohne Kutsche und noch dazu mit der Tasche in den eigenen Händen! Feine Ladys tragen nie etwas selbst, merk dir das, du Schlampe. Und jetzt hinaus mit euch! Aber rasch. Sonst hole ich den Wirt aus dem Keller. Der wird euch Beine machen!« Sie öffnete die Wirtshaustür und wollte eben Kittys Tasche mit weit ausholendem Schwung ins Freie schleudern, als ihr unvermittelt Al gegenüberstand. Erschrocken ließ sie ihren Arm sinken und die Tasche neben dem Fremden auf den Boden plumpsen. »Und wer sind Sie schon wieder?« fragte sie, und ihre Stimme klang bei weitem nicht mehr so selbstbewußt. Mit großen Augen starrte sie zu der hochgewachsenen Gestalt empor. Al schüttelte gemächlich die Schneeflocken von seinem Kutschiermantel, schob die überraschte Wirtin zur Seite und trat in die Gaststube.
Kitty war noch nie so froh gewesen, ihn zu sehen. Mit raschen Schritten lief sie auf ihn zu und klammerte sich an den Ärmel seines dicken Kutschiermantels. »Al! Hier bleibe ich keinen Augenblick länger!« rief sie aus. Es hatte den Anschein, als wollte sie ihn notfalls gegen seinen Willen aus der Gaststube zerren. Das Gelächter am hinteren Tisch war verstummt. Die Wirtin wartete ungeduldig auf Als Erklärung. Zahlreiche neugiere Augen starrten zu ihm hinüber. Mit kundigem Blick erfaßte er die Situation. Es hatte nicht den Anschein, als habe sich die Wirtin bereit erklärt, den jungen Damen Unterkunft zu gewähren. Und doch, es blieb ihnen nichts anderes übrig, als hier zu übernachten. Die Pferde waren übermüdet. Rasch fiel die Dunkelheit ein. Der Schneefall hatte deutlich an Stärke zugenommen. Nein, er hatte nicht die geringste Lust, die Fahrt fortzusetzen und im Schneegestöber nach einem neuen Quartier Ausschau zu halten. Es war dumm von ihm gewesen zu gestatten, daß die beiden Mädchen ohne Begleitung den Gasthof betraten. Dies machte auf gestrenge Gemüter einen höchst unseriösen Eindruck. Er mußte zusehen, daß er dieSituation in den Griff bekam. Dies würde ihm allerdings nicht gelingen, wenn er sich als Kutscher der beiden Mädchen zu erkennen gab.
»Und wer sind Sie, wenn ich fragen darf!« wiederholte die Wirtin ihre Frage. Ihr unwirscher Tonfall verriet deutlich ihre Ungeduld: »Haben Sie was mit den Weibspersonen zu schaffend?« »Ja!« rief jetzt auch der dicke Geselle mit dem breiten rotwangigen Gesicht: »Kennen Sie die Kleine da? Er schnuckeliges Ding. Stapenhill soll sie heißen, sagt sie. ’ne Herzogstochter will sie sein.« Seine Freunde fielen wieder in grölendes Lachen ein.
Mary Ann wandte sich zum Gehen. Je schneller sie diese peinliche Situation beendeten, desto besser. Sie hatte bereits die Klinke in der Hand, als der Tonfall ihres Dieners sie abrupt innehalten ließ. »Beruhige dich, Darling, es wird alles wieder gut«, hörte sie ihn sagen. Mary Ann war, als könne sie ihren Ohren nicht trauen. Sie drehte sich um und sah Al, der sich hoch aufgerichtet hatte. Er lächelte auf Kitty hinab, die sich noch immer krampfhaft an seinen Ärmel klammerte und tätschelte mit liebevoller Geste ihre Hand. Kitty war ebenso fassungslos wie ihre Freundin. Mit großen Augen sah sie zu, wie Al sich an die Wirtin wandte und mit hochnäsigem Tonfall verkündete: »Hier scheint es sich um ein Mißverständnis zu handeln. Daher will ich Ihnen verzeihen, daß Sie meine Gemahlin nicht mit dem gebührlichen Respekt behandelten. Mein Name ist Stapenhill. Lord Stapenhill, und dies hier ist meine Gattin. Sowie…« er wies auf die staunende Mary Ann, »Miss Brown, die Kammerfrau. Wir benötigen ein Doppelzimmer für eine Nacht sowie ein Einzelzimmer. Die Räume mit Verbindungstür, wenn möglich. Meine Gattin möchte ihre Zofe in der Nähe wissen. Das Essen servieren Sie uns in ein Extrazimmer. In sagen wir… einer Stunde. Dies ist dir doch recht, Liebling, nicht wahr?« Mit befriedigtem Lächeln stellte er fest, daß Kitty völlig sprachlos nickte.
Die Wirtin warf ihren Stammgästen einen bitterbösen Blick zu. Sie waren schließlich schuld daran, daß sie die Situation so völlig mißverstanden hatte. »Ich konnte ja nicht wissen…«, stammelte sie und bemühte sich, möglichst untertänig und devot zu erscheinen. »Verzeihen Sie mir, Mylord, Mylady…« Sie knickste und schritt an ihrenGästen vorbei. »Ich werde Ihnen sofort Ihre Zimmer
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