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Schneegestöber (German Edition)

Schneegestöber (German Edition)

Titel: Schneegestöber (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophia Farago
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Earl schüttelte fassungslos den Kopf.
    »Ich habe meinen Siegelring in den Saum meines Umhanges einnähen lassen«, erklärte Al, als sei dies das Selbstverständlichste auf der Welt. »Er würde mir jederzeit helfen, in mein Elternhaus zurückzukehren, auch wenn ich völlig abgebrannt gewesen wäre und ohne einen lumpigen Cent in der Tasche dagestanden hätte.«
    Dieser Einwand war nicht dazu angetan, den Earl zu beruhigen: »Esist mir trotzdem unerklärlich, wie du dich auf ein derart großes Wagnis einlassen konntest«, sagte er.
    Al zuckte mit den Schultern: »Ich hielt es für ein tolles Abenteuer«, meinte er leichthin. »Tatsächlich war es viel weniger vergnüglich, als ich hoffte. Aber lehrreich war’s auf jeden Fall, das kannst du mir glauben.«
    St. James fiel wieder der bittere Tonfall bei seinem Freund auf, den er von früher nicht gekannt hatte.
    »Wie lange bist du jetzt schon Diener?« erkundigte er sich.
    Al antwortete wie aus der Pistole geschossen: »Ein Jahr, einen Monat und vier Tage.«
    »Ja, aber…« Seine Lordschaft konnte es einfach nicht glauben. »Dann hast du deine Zeit doch um. Du hast es tatsächlich geschafft, ein Jahr lang Diener zu sein. Warum um Gottes willen fährst du nicht nach Hause? Warum suchst du nicht endlich deinen Onkel auf?«
    »Und die Mädchen im Stich lassen?« fuhr Al auf. »Das ist doch nicht dein Ernst.«
    St. James blickte seinen Freund nachdenklich an: »Bist du das ganze Jahr mit ihnen zusammengewesen?« erkundigte er sich.
    Viscount Lornerly schüttelte den Kopf: »Nein, leider nicht. Nur diesen letzten Monat und die vier Tage. Begonnen hat alles auf einem Bauernhof nahe Bristol. Eine ziemlich verfallene Keusche. Dort hat mich mein werter Herr Onkel abgesetzt. Ich sehe ihn noch vor mir, wie er im Wagen saß und sich vor Vergnügen die Hände rieb. Seine Augen leuchteten vor Freude, als er mir befahl, auszusteigen. Es regnete in Strömen. Sicher dachte er, ich würde ihn bitten, mich wieder nach London mitzunehmen. Aber diese Freude machte ich ihm nicht.«
    »Mr. Cox scheint mir grausam und sadistisch zu sein«, warf Justin ein.
    Das wollte Al nicht gelten lassen: »Ach nein«, sagte er. »Er wollte mir jungen Gecken, wie er mich immer nannte, bloß eine Lehre erteilen. Und das ist ihm ja auch gelungen.« Er reichte Justin das Glas, um es sich erneut nachfüllen zu lassen. »Meine erste Stelle war gar nicht so schlecht. Die Bäuerin bewirtschaftete alleine das kleine Anwesen. Dazu waren noch drei Kinder zu versorgen, ein Säugling und zweiMädchen, die eigentlich schon in die Schule hätten gehen müssen. Doch Schule gab es an diesem Flecken Erde weit und breit keine. Der Bauer war eingerückt. Er diente in Spanien bei der Infanterie. Keiner wußte, ob er je wiederkehren würde. Es hat geraume Zeit gedauert, bis ich die Bäuerin überreden konnte, mich aufzunehmen. Anfangs war sie mißtrauisch und verschlossen. Sie hatte zuviel Grausames erlebt. Obwohl sie erst fünfundzwanzig war, sah sie aus wie vierzig. So als habe sie ihr Leben bereits hinter sich.« Al schneuzte sich und seufzte in Gedanken. »Die Kinder hatten jedoch sofort eine unerklärliche Zuneigung zu mir gefaßt. Also entschloß sie sich, mich einzustellen. Ich half ihr, den Hof zu bewirtschaften, so gut es eben ging. Die karge Ernte einzubringen und die Kuh zu melken. Es gab ein paar Hennen, und Kartoffeln waren angepflanzt worden. Was wir nicht dringend selbst zum Leben brauchten, haben wir auf dem Markt verkauft. Mrs. Lear konnte mir zwar keinen Lohn zahlen, aber dafür kam ich heil über den Winter. Im März kam dann überraschend der Bauer aus dem Krieg zurück. Die Feinde hatten ihm seinen linken Arm weggeschossen, und da konnten sie ihn im Feld wohl nicht mehr gebrauchen. Für zwei Männer war nicht genug Arbeit auf dem Hof und auch nicht genug zu essen. Also zog ich weiter. Es war ein tränenreicher Abschied.« Al schluckte.
    »Und dann?« fragte der Earl atemlos. Es war unglaublich, was sein Freund da erzählte. Natürlich, man hörte immer wieder über die Armut und den Hunger im Lande. Man bemühte sich auf seinen eigenen Gütern, den Pächtern bessere Bedingungen zu schaffen. Und doch, er selbst hatte Hunger und Armut nie aus nächster Nähe kennengelernt. Mr. Cox würde sich freuen. Al war tatsächlich merklich reifer geworden in diesem Jahr.
    »Dann kam ich für kurze Zeit zu einem Händler nach Bristol. Kohlenhändler, um genau zu sein. Ich hatte die Säcke, die die anderen

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