Schneegestöber (German Edition)
Mit leisem Schnappen fiel die Tür hinter den beiden ins Schloß. Es war stockdunkel in dem Raum. Der Windhauch hatte die Kerze ausgelöscht, die der Earl mit der Rechten noch immer krampfhaft festhielt. Der Angreifer hatte den Griff um den Mund seines Opfers nicht gelockert. Und dennoch war es ihm gelungen, die Tür mit einem wohldosierten Tritt ins Schloß zu befördern.
»Also, was ist?« erkundigte er sich, und deutliche Ungeduld war aus seiner Stimme zu entnehmen. »Hab ich dein Wort, daß du keinen Wirbel machst? Dann lasse ich dich los und zünde ein paar Kerzen an. Wenn nicht, drehe ich dir den Hals um.«
Der Earl stutzte. Wie kam es, daß ihm die Stimme seines Angreifers bekannt vorkam? Vage vertraut? Eine Stimme, die er lange nicht mehr gehört hatte, die sich aber doch deutlich und klar wieder in Erinnerung rief. Seine Lordschaft vergaß, sich zu wehren. Die Hand auf seinem Mund lockerte sich. Er nützte die Gelegenheit und machte sich frei: »Also zünde die Kerzen an, in Gottes Namen!« befahl er, bemüht, sich seine Neugierde nicht anmerken zu lassen. Er mußte sich irren. Nie hatte er einen Mann gekannt, der einen so unverfälschten Yorkshire-Dialekt sprach. Der andere Mann lachte im Dunklen. Warum war ihm nur dieses Lachen ebenfalls vertraut?
»Ich freue mich, daß Eure Lordschaft Vernunft und Gelassenheit beweisen«, sagte nun die Stimme in der Dunkelheit klar und ohne die leiseste Färbung von Umgangssprache. Ein Streichholz flammte auf. Für einen kurzen Moment sah Mylord das Gesicht seines Gegenübers, dann wandte sich dieser ab, um eine der Kerzen in den zwei Wandleuchten anzuzünden. Seine Lordschaft ließ einen überraschten Schrei hören! »Lornerly«, flüsterte er schließlich. »Wie kommst du hierher? Woher wußtest du, daß ich mich hier aufhalte? Was soll das Theater? Du hättest mich fast erstickt.«
Der andere hatte mit den vorhandenen zwei Kerzen das Zimmer so gut es ging erhellt. Da im Kamin kein Feuer brannte, war es dennoch dunkel. Zudem war es eiskalt in dem unbewohnten Raum. Nun drehte er sich um und blies langsam das Streichholz aus. Gedankenverloren, seiner Wirkung voll bewußt, blickte er dem Rauch nach, als dieser durch die eisige Luft zur Decke zog. »Das hatte ich auch vor«, sagte er schließlich.
»Mich zu ersticken?« rief Seine Lordschaft aus.
Der andere legte erschrocken seinen Zeigefinger an die Lippen: »Wirst du wohl leise sein, St. James!« forderte er. »Du weckst noch das halbe Haus auf!«
»Lornerly«, flüsterte dieser daraufhin. »Lornerly…« Er konnte es einfach nicht glauben. »Ich habe dich eine Ewigkeit nicht mehr gesehen. Wie kommst du hierher? Woher wußtest du, daß ich hier bin? Was soll dieser lächerliche Überfall? Du wolltest mich doch nicht tatsächlich umbringen? Habe ich dir je einen Grund für diese haarsträubende Idee gegeben?«
»Das hast du allerdings«, antwortete sein Gegenüber. Ein kleines Lächeln hatte sich in seine blauen Augen geschlichen und zeigte deutlich, daß der Zorn, den er eben noch verspürt hatte, dabei war zu verrauchen. Er wollte zu einer Erklärung ansetzen, als er heftig zu niesen begann. Rasch zog er ein kariertes Taschentuch von enormen Ausmaßen aus seiner derben Kniehose und schneuzte sich ausgiebig: »Bevor wir weitersprechen: Würde es dir etwas ausmachen, wenn wir in ein wärmeres Zimmer überwechseln? In dein Schlafzimmer zum Beispiel. Hier ist es beinahe so kalt wie in meiner Unterkunft. Ich habe mir bereits eine ziemlich starke Verkühlung zugezogen…«
Der Earl nickte. »Nur zu gerne.« Dann hob er abwehrend die Hand. »Allerdings nur, wenn du versprichst, mich nicht mehr anzugreifen!«
Der andere nickte grinsend und öffnete die Tür, um Seine Lordschaft vorbeizulassen: »Nach Ihnen, Mr. Rivingston«, flüsterte er augenzwinkernd. »Und vergiß nicht: Wenn uns jemand sieht, ich bin Al. Dein Diener Al.«
St. James, der bereits in den Gang hinausgetreten war, fuhr herum. Mit großen Augen schaute er sein Gegenüber an, sagte jedoch nichts. Schweigend schlichen sie in sein Schlafzimmer zurück. Dann versperrte St. James vorsorglich die Tür, schob zwei Lehnstühle nahe an den Kamin heran und bot seinem Freund an, Platz zu nehmen.
»Man hat mir einen recht ordentlichen Brandy aufs Zimmer gebracht. Ich nehme an, du kannst auch einen gebrauchen.« Er goß die honigfarbene Flüssigkeit in zwei Kristallgläser und reichte eines davon an Al weiter. Dieser lehnte sich wohlig auf dem bequemen Sessel
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