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Schneeköniginnen

Schneeköniginnen

Titel: Schneeköniginnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Mischke
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würde
sie sich verstecken und lethargisch auf die Scherben ihres bisherigen Lebens
blicken. Dazwischen vielleicht ein wenig fernsehen und noch mehr von diesen
hervorragenden Margheritas trinken. Hinausgehen? In diese gräßliche Stadt, die
ihr all das angetan hatte? Niemals. Sie haßte New York seit dem Morgen geradezu
inbrünstig.
    Es klopfte. Anne rief etwas Undeutliches,
und die Tür wurde geöffnet. Draußen stand ein Page. In ihrer zarten
Beschwipstheit hielt Anne ihn für den Zimmerkellner.
    »Hatte ich noch einen bestellt? Aber
wenn Sie schon mal da sind... Diesmal ist hoffentlich etwas weniger Eis drin.«
    Der Junge, er war so schwarz, als
trüge er einen Taucheranzug unter seiner tressenbehangenen Uniform, räusperte
sich.
    »Verzeihung, Ma’am, unten in der Halle
wartet jemand auf Sie.« Stefan. Das konnte nur er sein. Hatte sie das Hotel
erwähnt? Ja, sie glaubte sich daran zu erinnern. Sicher kam er jetzt
angekrochen, um ihr verwegene Lügen aufzutischen, garniert mit Versprechungen,
die er nicht zu halten gedachte.
    »Sagen Sie dem Herrn...«
    »Verzeihung, es ist kein Herr. Es ist
eine junge... äh... Dame.«
    »Eine Dame? Jung?«
    »Möchten Sie sie in der Halle
empfangen, oder soll ich sie heraufschicken?«
    »Wer ist sie denn?«
    »Eine Miss...«, er schien krampfhaft
zu überlegen, »Shannon?«
    Hoffnungsvoll wartete er auf ein
Zeichen des Erkennens in ihrem Gesicht. Anne zuckte apathisch die Schultern.
    »Das ist sicher ein Irrtum. Aber
schicken Sie sie schon rauf. Und organisieren Sie mir noch so einen
Margherita!«
    »Selbstverständlich, Ma’am.«
    Anne stolperte ins Badezimmer und
inspizierte ihr Gesicht im Spiegel. Rotgeschwollene Ringe unter ihren
blaßblauen Augen zeugten von ihrem Elend. Sie fuhrwerkte hastig mit der
Puderquaste herum, was so gut wie nichts an ihrer kläglichen Erscheinung
änderte. Ist sowieso nicht für mich, dachte sie dann gleichgültig,
wahrscheinlich eine Verwechslung.
    »Wer ist draußen?« rief Anne, als es
laut klopfte. Vielleicht war das ja nur ein Trick von Stefan, obwohl... er
würde wohl kaum so weit gehen, sich in Frauenkleidern getarnt an sie
heranzumachen.
    »Don Johnson«, antwortete eine vage
bekannte Stimme.
    Anne wurde leicht schwindelig, sie war
Alkoholgenuß in derart massiver Form nicht gewohnt. Unsicher öffnete sie die
Tür.
    Ein bizarres Reptil stand auf dem
Flur. Ein ultrakurzes, quietschgrünes Kleid umspannte knapp fünfzig Kilo
geballte Erotik, so daß das Schlangenmuster darauf wie aufgemalt wirkte. Ihr
Haar war zu einer einzigen weichen, roten Wolke aufgesteckt und fiel in trägen
Kaskaden auf ihre nackten Marmorschultern. Der tiefe Ausschnitt enthüllte ein
blasses Dekolleté, die frisch erbeutete Goldkette glänzte matt zwischen
Legionen von winzigen Sommersprossen, auf der schwarzseidenen Oberfläche ihrer
transparenten Strümpfe spiegelte sich aufreizend der Schein der Kristallüster.
Das Gesicht war mit dezentem Make-up verfeinert, ganz anders als die Kriegsbemalung
vom Morgen. Offenbar war sie zum Ausgehen gerüstet. Das ganze Kunstwerk
balancierte auf Schlangenlederschuhen, deren gefährlich hohe Absätze die
zierliche Person annähernd so groß wie Anne wirken ließen. Die trug lediglich
Tennissocken und hielt sich am Türrahmen fest.
    »Das gibt’s nicht«, stellte Anne
sachlich fest. Dieses Mädchen war zweifellos schlimmer als eine Warze. Man
wurde sie einfach nicht los. Sie warf einen vorwurfsvollen Blick auf ihren
letzten Drink. Delirium. Nannte man das nicht so, wenn man im Suff
phantasierte?
    »Überraschung«, krähte Katie. »Darf
ich reinkommen?« Ohne Annes Antwort abzuwarten, stand sie schon im Zimmer und
sah sich neugierig um. »Auch keine schlechte Bude, nein wirklich.« Sie trat ans
Fenster. »He, was für ‘ne starke Aussicht. Der ganze Park!«
    »Wie kommst du hierher? Was tust du
hier?« Wie, zum Teufel, war das möglich? New York war schließlich kein Kuhdorf.
    »Störe ich?«
    »Äh... nein, nein, ist schon in
Ordnung;« Irgendwie war Anne plötzlich ganz erleichtert, diesen bunten Vogel
hier zu sehen.
    »Was hängst du hier alleine rum?
Willst du nicht ausgehen? Wo ist dein Macker?«
    Statt einer Antwort brach Anne in
Tränen aus. Es war ihr höchst peinlich, aber der Ausbruch ließ sich nicht
stoppen. Katie war froh, daß in dem Moment der Zimmerkellner mit dem Margherita
erschien.
    »Nett, daß du an mich gedacht hast.«
Sie leerte den Drink in einem Zug bis zur Hälfte und hielt Anne wortlos den
Rest hin.

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