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Schneeköniginnen

Schneeköniginnen

Titel: Schneeköniginnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Mischke
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trug im allgemeinen keine himbeerroten Seidenblusen.
    Anne achtete nicht weiter auf sein
fragendes Gestammel, weshalb sie denn nicht angerufen hätte, und so weiter. Sie
schüttelte seine unbeholfene Umarmung ab, stob an ihm vorbei, durchmaß das
Zimmer wie ein Feldwebel und bekam gerade noch mit, wie eine völlig
unbekleidete, weibliche Person, mit schwarzen Locken und karamellbrauner Haut,
aus dem Nebenzimmer spazierte und im Bad verschwand. Die Tür zum Schlafzimmer stand
jetzt offen und erlaubte den Blick auf ein nahezu klassisches Stilleben: Hastig
verstreute Kleidungsstücke aller Art, darunter ein schwarzer Tangaslip, eine
leere, umgekippte Sektflasche auf dem Boden, flankiert von zwei Gläsern, eins
mit himbeerrotem Lippenstift dran, daneben die Reste einer Familienpizza in
Alufolie. Die Dinger zwischen den vertrockneten Sardellen, die Anne beim
flüchtigen Hinsehen für eingeschrumpelte Calamari hielt, entpuppten sich beim
näheren Hinsehen als drei (!) gebrauchte Kondome.
    Anne kämpfte mit den Tränen und einem
unbestimmten Déjà-vu-Gefühl. Nein, sagte sie sich, das kann nicht mein Leben
sein, das ist ein Traum, nein, ein Film, ein ganz mieser Film, eine kitschige
Seifenoper, schlimmer als Denver und Dallas zusammen...
    Irgendwie, im allerentferntesten
Winkel ihres Vorstellungsvermögens, hatte sie so eine Situation kommen sehen.
Oder hatte sie sie sogar provoziert?
    »Anne, laß dir das erklären, bitte,
lauf nicht weg.«
    Stefan sprang mit wehendem Bademantel
und in seinen der Jahreszeit unangemessenen Unterhosen auf dem Flur herum und
rief ihr fadenscheinige Ausflüchte nach. Sie merkte erst jetzt, daß sie langsam
die Treppe hinunterstieg, einer Schlafwandlerin ähnlich. Wie Milch auf dem Herd
schäumte die Wut in ihr hoch. Am liebsten hätte sie geschrien, gebrüllt,
randaliert, alles kurz und klein geschlagen, einschließlich Stefan, und dem
Miststück im Bad den Garaus gemacht. Aber Anne war frühzeitig beigebracht
worden, daß eine Dame ihre Gefühle im Zaum hält. So wirbelte sie am Fuß der
Treppe herum, blitzte Stefan aus feuchten Augen an und flüsterte: »Stefan, du
bist ein ganz mieses Schwein. Ich will dich nie wieder sehen.«
    Sie flog die restlichen Stufen
hinunter und hätte beinahe den Portier umgerannt, der sich, alarmiert von dem Krawall
zu so früher Stunde, soeben anschickte, nach dem Rechten zu sehen. Er
verstellte ihr, infolge seiner stattlichen Leibesfülle wohl eher unabsichtlich,
den Weg und erkundigte sich in scharfem Ton, was hier vorginge. Sein Erscheinen
gab Anne den Rest. Der Topf kochte in genau diesem Moment über. Mit Karacho
rammte sie ihm den Ellbogen in den Wanst, so daß er zusammenklappte wie ein
Liegestuhl, raste an ihm vorbei, auf den Ausgang zu, und schrie dabei: » Fuck
you !«

Village People
     
     
    Der Kellner servierte Anne mit
dezenter Süffisanz ihren soundsovielten Margherita. Seit dem Morgen hielt sie
sich im Hotel verkrochen wie ein angeschossenes Tier, gegessen hatte sie auch
noch nichts.
    Zum ersten Mal in ihrem Leben genoß
Anne ihre gesunde finanzielle Lage mit vollem Bewußtsein. Die
Vierhundert-Dollar-Suite mit ihrer angestaubten Eleganz, den englischen Möbeln
und der teuren Aussicht erwies sich als geradezu prädestiniert, um einer
verlorenen Liebe nachzutrauern. Eine beklemmende Vorstellung, solche
Schicksalsschläge in einer drittklassigen Absteige durchstehen zu müssen, auf
einem mottenzerfressenen Bettüberwurf in ein speckiges Kissen zu heulen,
umgeben von Sperrholzmöbeln und geschmacklosen Tapeten.
    Einem ersten Impuls folgend, war sie
nach ihrem traumatischen Erlebnis auf ihr Zimmer gestürmt und hatte mit der
wütenden Energie eines Tornados begonnen, ihre Sachen zu packen. Doch in einem
glasklaren Moment sah sie auf einmal die Gesichter ihrer Lieben zu Hause vor
sich: Ihr Vater, der seine Meinung, diese Reise sei eine sentimentale
Schnapsidee, grimmig bestätigt sah, die bohrenden Fragen ihrer an der
Oberfläche so besorgten Mutter, das heimliche Getuschel in ihrer Abteilung...
Nein, sie konnte gar nicht zurück. Nicht in den nächsten zwei Wochen.
Also packte sie wieder aus und gab sich beinahe lustvoll einer bleischweren
Melancholie hin. Notfalls würde sie bis zum geplanten Abflug hier herumhängen.
Hier war ihr Refugium, ein stilles, dämmriges Reich aus edlen Hölzern, Chintz
und Seide, das sie schmerzlindernd mit dekadentem Luxus umhüllte und sie
zuverlässig vor den Gemeinheiten des Lebens da draußen abschottete. Hier

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