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Schneeköniginnen

Schneeköniginnen

Titel: Schneeköniginnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Mischke
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durch
Manhattan, wobei sich Katie als qualifizierte Fremdenführerin erwies. Anne
quittierte das mit höflichem Interesse. In Wirklichkeit war sie noch längst
nicht versöhnt mit New York. Sie hielten vor der Fußgängerrampe der Brooklyn
Bridge, und Anne bezahlte das Taxi.
    »Ich dachte mir, ein bißchen frische
Luft kann deinen Augenringen nicht schaden«, meinte Katie fürsorglich.
    Sie liefen bis zum Scheitelpunkt der
Brücke, und Katie blieb zwischen zwei Laternen stehen.
    »Was tun wir hier?« fragte Anne.
    »Och, nichts Besonderes, einfach nur
so sein«, antwortete Katie wolkig.
    Die Dunkelheit kroch langsam heran.
Steil ragten die scharf gegliederten Quarztürme in den tintigen Himmel, der im
Westen lichterloh brannte.
    »Es wird bald regnen«, verkündete
Katie, und wie zur Bestätigung ihrer Worte kühlte eine frische Brise vom
Atlantik Annes heiße Wangen. Fasziniert und wortlos starrten sie dann auf die
harte Silhouette dieser künstlichen Stadt, die trotzdem wie ein Naturwunder
wirkte. Gebadet im weichen, goldenen Schimmer des allerletzten Abendlichts war
sie von so perfekter, zerbrechlicher Schönheit, nichts Derartiges hatte Anne je
vorher gesehen. Trotz des Straßenstaubes setzte sich Anne nahe ans Geländer und
lehnte den Kopf dagegen. Sie fühlte die Vibration dieses dünnen Nervs aus Stahl
und Eisen, der Manhattan und Brooklyn verband, zwei Millionenstädte, beide
außergewöhnlich in ihrer Verschiedenheit. Es war, als spürte sie den Rhythmus
und die geballte Energie, die von diesem fiebrigen Stück Erde ausging. Die Zeit
verstrich schweigend. Das Wasser des East River färbte sich schwarz, die Sonne
saugte die letzten Farben in sich auf und nahm sie mit sich auf die andere
Seite der Weltkugel. Manhattan begann nun aufzuleuchten, kraftstrotzend, wie
ein funkelnder Kristall gegen den sepiafarbenen Himmel. Wie konnte eine Stadt,
die als brutal, laut und schmutzig verschrien war, gleichzeitig so eine
magische Stimmung verbreiten?
    »Die Workaholics«, durchbrach Katie
brutal den magic moment.
    »Was?« Anne tauchte jäh aus einer
anderen Welt auf.
    »Die Skyline in der Nacht. Alles
Workaholics.«
    »Interessanter Aspekt.« Wenn Katie
wüßte, daß sie, Anne, zu Hause auch zu dieser Sorte gehörte.
    Nach diesem tiefschürfenden
Brückenerlebnis folgte die heftigste Kneipen tour, die Anne jemals erlebt hatte.
Am Anfang stand ein flüchtiger Imbiß in einem chinesischen Restaurant. Katie
schlang gierig, kaum daß man sie kauen sah, und auch Anne spürte auf einmal
rasenden Hunger. Mitten in ihrer Frühlingsrolle entdeckte sie ein grünes
Plastikteil.
    »Was ist das?« wunderte sich Anne.
    »Ach, irgend ein chinesischer Spruch,
oder dein Tageshoroskop.«
    »Na bestens.« Anne öffnete das
glitschige Ding mit Hilfe von Fingernägeln und Zähnen. Eine winzige graue
Papierrolle fiel heraus.
    »Was steht drauf?« fragte Katie.
    Anne grinste. »Ein garantiert original
chinesischer Spruch.«
    »Lies schon vor.«
    »Weine nicht über verschüttete Milch«,
zitierte Anne und schnaubte verächtlich.
    »Ist doch gar nicht so abwegig.« Katie
war empfänglich für alles, was nur im Entferntesten mit Wahrsagerei, Astrologie
und dergleichen zu tun hatte. »Wenn man deine Lage bedenkt.«
    »Das ist purer Blödsinn«, Anne
zerknüllte das Papier. »Was steht auf deinem?«
    Wie ein Schakal zerpflügte Katie den
Rest ihrer Mahlzeit. »Bei mir ist keins drin!« jammerte sie enttäuscht.
    »Du hast es bestimmt mitgegessen!«
    »Scheiße! Ich hab’ Plastik im Magen,
so eine Schweinerei!«
    »Vielleicht kannst du den Spruch
morgen lesen.«
    Kaum hatte sie bezahlt, stürzte Katie
hinaus, als hätten sie schon viel zuviel Zeit mit Essen vertan. Teils zu Fuß,
teils mit dem Taxi durchstreiften sie Downtown. Einige Lokale verließ Katie
kurz nach Betreten unter Protest, verärgert, nicht das vorzufinden, was sie
erwartet hatte. Andere fanden Gnade vor ihren Augen, und sie blieben immerhin
auf einen Drink, in seltenen Fällen auch auf zwei. Sie tranken dünnes,
eiskaltes Bier in einem Schuppen in Greenwich Village, zum schwarzen Rap und
dem akrobatischen Break-Dance einer Band aus der South Bronx. Kurze Zeit später
hingen sie in dritter Reihe an irgendeiner Bar in Soho, schlürften bunte
Cocktails und wippten zu den blechernen Tönen einer Calypso-Band. Sie
versuchten es an anderer Stelle mit Free Jazz, aber die Band machte gerade
Pause, und sofort ging es weiter, weiter, als müßten sie die Stadt in einer
Nacht erobern.

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