Schneeköniginnen
junger Schwarzer mit
schlechtsitzender Uniform. Vielleicht ein Student, der sich hier mit der
Nachtschicht was dazuverdiente. Anne wiederholte ihr Sprüchlein. Diesmal
genügte ein Zehndollarschein.
»Aus Deutschland sagen Sie? Mein
Bruder war mal ein ganzes Jahr da. In Fränkfurt. Sehr schön, Fränkfurt. Sagt
mein Bruder. Woher kommen Sie?«
»Fränkfurt«, log Anne.
»He, was für ein Zufall! Vielleicht
sind Sie ihm dort sogar schon mal begegnet.«
»Ja, das ist leicht möglich. Fränkfurt
ist ja nicht sehr groß. Würden Sie jetzt bitte anrufen? Aber verraten Sie
nichts...«
Er zwinkerte ihr gutmütig zu. »Okay,
versuchen wir’s mal.«
Das selbe Schauspiel wie eben
wiederholte sich auf grausame Weise: »Geht keiner ran.« Eine Faust griff nach
Annes Magen, Dackelfalten formierten sich auf der Stirn des Portiers.
»Vielleicht noch im Büro?« meinte er
aufmunternd.
»Vielleicht.«
»Er ist sicher nur in einen Stau
geraten.«
»Er hat kein Auto, er fährt mit der
Subway. Trotzdem, vielen Dank.«
Der Portier konnte nur hilflos und mit
ehrlichem Bedauern die Schultern zucken. »See you.«
Na gut, beschwichtigte Anne sich selbst,
vielleicht ist er einen trinken gegangen, mit Kollegen. Warum auch nicht? Es
ist Freitagabend, da bleibt der doch nicht zu Hause, schließlich kenne ich ihn
lange genug, um das zu wissen. Hätte ich bloß angerufen, ich blöde Pute. Aber
nein, es mußte ja unbedingt das romantische Wiedersehen zweier Liebender nach
langer Zeit sein! Scarlett O’Hara trifft auf Rhett Butler, oder so in dem Stil.
Als ob das irgendwas ändern würde.
Resigniert beschloß sie, ins Plaza
zurückzukehren und ihn von dort anzurufen. Das ersparte ihr weitere peinliche
Auftritte vor dem Portier. Notfalls würde sie ihn eben erst morgen früh
treffen. Sie erwischte ein Taxi, ließ sich ins Hotel fahren und ging ohne
Umwege in die Oak Bar. Sie nahm einen Margherita, dann noch einen, und unterhielt
sich geistesabwesend mit dem Barmann. Als sich ein älterer Herr neben ihr
niederließ und ein Smalltalk drohend in der Luft lag, trank sie rasch aus und
verzog sich in ihre Suite.
Im Viertelstundentakt rief sie bei ihm
an, vielleicht waren es auch nur zehn Minuten, während sie im T-Shirt auf dem
Bett lag und eine wahnsinnsdämliche Seifenoper im Fernsehen lief. Irgendwann
gab sie die Telefoniererei auf und fiel in einen bleischweren Schlaf, der
Fernseher quasselte noch weiter.
Nach einem zügigen Fußmarsch standen
Sarah und Katie mitten im East Village vor einem ausgedienten Fabrikgebäude aus
braunen Mauersteinen.
»Hier ist es«, Sarah zeigte stolz nach
oben, »die zwei Etagen über dem Studio.«
»Hier?« Unten waren die Scheiben zu
schmutzig, um etwas vom Innenleben zu erkennen, im ersten Stock klebte eine
Reklamefolie für ein Fitness-Center in den Fenstern, die beiden Stockwerke
darüber waren frisch renoviert worden, um die Fensterrahmen sah man sogar noch
Farbkleckse. »Bist du da sicher?«
»Ja, es ist so ein Loft, du wirst
sehen, es ist irre!« Sarah trat vor Ungeduld von einem Bein aufs andere und
drückte bereits unter übertriebenem Geächze die schwere Eingangstür auf. Eine
Halle mit allerlei Gerümpel empfing sie, ein Wachmann mit Pistole und Schlüsselbund
im Halfter sah kurz auf und nickte dann. Offenbar kannte er Sarah.
»Na denn.« Katie stieg hinter Sarah
die breiten Holztreppen hoch. Aus dem Fitness-Studio erklang ein Stück von Dr.
Alban, schrille Kommandos einer weiblichen Stimme, untermalt von herzzerreißendem
Stöhnen. Durch die Glastür erspähten sie ein gutes Dutzend draller Frauenkörper
in hautengen Anzügen, die sich in spastischen Zuckungen auf roten Isomatten
wälzten. Sie hockten sich einen Moment auf die Treppe, um das Schauspiel auf
sich wirken zu lassen.
»Stretching!« erklärte Sarah
schließlich in einem Ton, der Fachkompetenz erkennen ließ. Katie löste sich von
dem Anblick , doch Sarah blieb auf dem Treppenabsatz sitzen: »Macht fünfzehn
Dollar.«
»Wie? Oh, ja natürlich.«
Sarah schnappte sich das Geld,
polterte hinauf und drückte lange und fordernd auf die Klingel. Kurze,
schlurfende Schritte näherten sich, eine sehr kleine Chinesin öffnete und
maulte etwas in ihrer Muttersprache vor sich hin.
»Hi, Bonnie!«
»Tag Sarah.« Sie taxierte Katie
überaus kritisch.
»Ist Lis da? Ich bringe ihr ‘ne alte
Freundin vorbei. Sie heißt Katie. Denk nur, sie kommt aus Europa...«
Bonnie murmelte wieder mit sich
selber, bat sie beide mit einer
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