Schneeköniginnen
Katie kannte kein Pardon. Sie taten sich vorübergehend mit ein
paar Jungs zusammen, es waren Touristen aus Montana, welche Katie gnadenlos als
Hinterwäldler titulierte. Sie ließen die Kerle dann in einem Rock’n
Roll-Schuppen stehen und genehmigten sich zwei Margheritas in einem weiteren
Club zum nervösen Staccato eines Saxophons, verloren sich in einer riesigen
Discothek, wo die pumpenden Bässe von Techno und House einem bis in den Magen
fuhren und kreischende, unwirkliche Töne das Trommelfell flattern ließen. Mit
einem Gefühl wie nach einer Gehirnwäsche fanden sie sich wieder vor der Türe,
wo sie feststellten, daß es inzwischen einen satten Regenguß gegeben haben
mußte.
Sie strichen durch die prickelnde Luft
die Straße entlang, irgendwo in Greenwich, oder war es Tribeca? Völlig egal. Es
war schon halb drei, die Stadt roch wie neugeboren, Anne hatte jede
Orientierung verloren. Was Katie anbelangte, war sie sich gar nicht so sicher,
ob die nur so tat, als würde sie sich überall auskennen. Schließlich war sie
vor fünf Jahren noch viel zu jung gewesen, um in all diese Clubs eingelassen zu
werden.
Vor einem Lagerhaus träubelte sich
eine Menschenmenge, von drinnen lockten dumpfe Klangfetzen, ein stampfender Rhythmus,
wie der einer Maschine, dazu Gejohle. Katie strebte wie an Schnüren gezogen
darauf zu, drängelte sich geschickt nach vorne, zum Ort des Geschehens, Anne
kämpfte sich hinterher.
Ein schwarzer Soundmixer operierte an
zwei Plattentellern. Er ließ sich von einer Frau eine Scheibe nach der anderen
reichen, spielte ein paar Takte von dieser, ein paar von jener Platte, mischte
zwei Songs gleichzeitig ab, wechselte in irrer Geschwindigkeit und wirkte dabei
unheimlich cool. Niemals wurde der Rhythmus des Raps unterbrochen, das hätte
vermutlich das nahe Ende seiner Karriere eingeläutet. Selber nur gelassen mit
dem Kopf wiegend, gab der Maestro des Mischpultes über ein Mikro
Sprechanweisungen an sein Publikum: »Say: Yeah, yeah!«
»Yeah, yeah«, kreischten die Tanzenden.
»Say:
He ho!«
»He
ho!«
Der ganze Raum schien zu pulsieren,
einige wippten nur mit entrückten Gesichtern auf der Stelle, andere zuckten wie
unter einem kalten Wasserstrahl.
»Everybody
say: Hip-e-di-hip-hop jah, jah!«
»Hip-e-di-hip-hop jah, jah!«
»Whow, das ist stark!« Katie war
hingerissen. »Das war von Arrested Development! Und das von Dr. Alban!«
Seltsame Namensfetzen flogen Anne um die Ohren, manche klangen wie Formeln für
Pflanzenschutzmittel. Ihr Interesse an zeitgenössischer Musik war Vorjahren
irgendwo im Disco-Sumpf zwischen Madonna und Michael Jackson steckengeblieben.
»Das da, das kenne ich!« rief sie erfreut, als die ersten Takte eines Songs zu
hören waren.
»Na klar«, schleuderte sie Katie auf
den Boden der Tatsachen zurück, »das kennt jeder. Grandmaster Flash, The
Message.«
Den D.J. verlangte es nun nach
Relaxing, er legte eine Platte auf und setzte sich ein wenig abseits, seine
Assistentin reichte ihm dienstbeflissen die mordsmäßigste Tüte, die die Welt je
sah. Als Pausenmusik lief Salsa, und sofort bildeten sich andere tanzwütige
Paare.
»Wanna Dance?« Ein Schwarzer mit
prallgefülltem Muskelshirt und krachengen Hosen grinste Anne herausfordernd an.
Sie lächelte zögernd zurück, und schon
führte er sie ab wie seine Gefangene, in die Mitte der Tanzfläche.
Das letzte Mal, daß sie getanzt hatte,
daran erinnerte sich Anne ganz genau. Das war voriges Jahr im Winter gewesen,
mit dem Verkaufsleiter der österreichischen Niederlassung von Schwanz Pharma,
auf dem Opernball. Wiener Walzer. Seitdem nicht mehr. Stefan war kein großer
Tänzer und erst recht kein Discofreak, sie selbst allerdings auch nicht.
Dementsprechend linkisch stellte sie
sich nun an. Ihrem Partner blieb das nicht verborgen, er erbarmte sich, faßte
sie mit einem bestimmenden Ruck um die Taille und zog sie eng zu sich heran.
Anne reagierte zunächst ein wenig brüskiert, versuchte aber dann tapfer, sich
ihm anzupassen, was ihr nur bedingt gelang. Ein paarmal trat sie ihm auf die
Zehen, aber durch seine schwarzledernen Reeboks mochte ihm das wohl kaum
fühlbare Schmerzen bereitet haben. Er lächelte ekstatisch, ein
verheißungsvoller, dunkler Schweißgeruch stieg ihr in die Nase, sie spürte
seine immense Körperwärme durch ihr dünnes Kleid und fand die Situation
durchaus nicht übel. Allmählich gelang es ihr immer besser, seinen Bewegungen
zu folgen, aber das nur, weil sie sich ziemlich fest, wenn
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