Schneeköniginnen
schwer
von Feinden und Speichelleckern zu unterscheiden waren.
Anne hatte es sogar geschafft, zu
Hause anzurufen und so zu tun, als sei mit Stefan und ihr alles in bester
Ordnung: »Nein, versucht erst gar nicht, uns telefonisch zu erreichen, wir sind
sehr viel unterwegs...«
Gordon mußte jetzt für ein paar
Stunden zum Sender, wollte sie aber so gegen elf Uhr abholen. Das war eine
günstige Zeit, die meisten Bars und Clubs waren vor ein, zwei Uhr nachts
ohnehin gähnend leer. Inzwischen könne sie ja seine Stimme per Radio hören,
meinte er mit seinem typischen schiefen Grinsen.
Anne war alles recht. Wenn sie so
darüber nachdachte, verdankte sie Katie wirklich ein paar angenehme Tage. Wäre
doch schade gewesen, gleich nach »der Katastrophe«, wie sie das
niederschmetternde Ereignis jenes Morgens insgeheim nannte, nach Hause zu
fliegen. Zumindest hätte sie dann niemals Feuerspucken gelernt.
Während Katie im Crazy Cactus, einer
heruntergekommenen Unterwelt-Spelunke, ihren dubiosen Geschäften und Recherchen
nachging, saßen Anne und Gordon in einem dieser schäbigen Nachtcafés unter der
taghellen Neonlampe und schlürften Cappuchino. Gordon hatte sich an seinem
Lieblingsthema festgebissen: »Du mußt nicht glauben, daß du diese vielfältige,
innovative Musik, die wir heute in der Knitting Factory und im Wetlands gehört
haben, auch im Radio läuft. Zumindest nicht auf den FM-Stationen. Die bringen
nur Kommerz. Die Charts rauf und runter, immer wieder, leichtverdaulichen
Einheitsbrei, bis zum Erbrechen. Und die Rock-Oldies, als ob es nichts anderes
gäbe! Langsam kann ich nicht mal mehr die Stones hören, so hängt mir das zum
Hals raus. Die Werbeleute bestimmen, was gespielt wird, und alles kuscht.«
»Das ist bei uns genauso«, tröstete
Anne.
»Mag sein. Aber von einer Stadt wie
New York könnte man doch was anderes erwarten, meine ich.«
»Aber die Zielgruppe der Werbung, das
ist nun mal der Durchschnitt. Die wollen wahrscheinlich genau so was hören.«
»Genau das glaube ich nicht. Es gibt
auch Leute, die ein normales Vorstadtleben führen, morgens ihre Cornflakes
essen, Deo und Rasierschaum benutzen, und trotzdem gerne schwarze Musik und
neue, noch unverbrauchte Bands hören wollen.« Er nahm einen Schluck Cappuchino
und fuhr sich aufgebracht durch seine schütteren Strähnen.
»Aber ihr, in eurem Sender, ihr spielt
doch diese Underground Bands?«
»Wir senden auf Mittelwelle, das ist
was anderes. Aber selbst wir bringen im Moment viel zu wenig, was Qualität hat.
Deshalb liegen Harvey und ich ja dauernd im Clinch. Er will unsere wenigen
Werbeleute nicht auch noch vergraulen. Momentan laufen bei uns die guten Sachen
nur bei Nacht, oder wenn ich mal unbeaufsichtigt ans Mikro gelassen werde.
Ansonsten spielen er und Sandy, das ist seine Freundin, ihre abgefuckte
Discoscheiße, Verzeihung, aber da könnte ich jedesmal platzen! Die Mittelwelle
ist die einzige Chance, noch lebendige Musik zu spielen, und er macht so
ein seichtes Kommerz-süppchen daraus.«
»Kannst du nicht abspringen, deinen
Anteil verkaufen und bei einem anderen Sender einsteigen?«
»Hm«, knurrte er, »könnte ich schon.
Andererseits ist dieser Sender mein Baby. Ich konnte wirklich nicht ahnen, daß
sich Harvey so zum Spießer mausert, aber damals brauchte ich ihn als Geldgeber.
Aber irgendwann kaufe ich ihn raus, garantiert.«
»Ist nicht Teresa auch mit von der
Partie?« fragte Anne mit kalkulierter Hinterlist.
»Teresa? Ja, ja. Als freie
Mitarbeiterin. Sie macht einmal die Woche Horoskope und moderiert so eine esoterische
Ratgeber-Sendung.« Seine Stimme verengte sich zu einem aufgeregten Quieken:
»Hier spricht Sonja, ich bin Steinbock in der zweiten Dekade. Mein Lover ist
schon seit drei Tagen nicht mehr bei mir aufgetaucht, und er hat meinen Wagen
mitgenommen — ob wohl eine andere Frau dahintersteckt?«
Er imitierte brummig den Baß von
Teresa: »So, also Steinbock. Farbig?«
»Grünmetallic«, quiekte Sonja.
»Wie? Ey, Schwester...«
»Äh... ‘tschuldige. Weiß.«
»Gut, dafür kannst du nichts. Jetzt bleib
erst mal ganz cool. Scheiß auf den Wagen, der macht nur Umweltprobleme. Und
dieser Scheißtyp, den kannst du getrost vergessen, konzentriere dich lieber auf
deine positiven Vibrationen. Polier dein Karma auf! Komm zu mir in die
Sprechstunde, dann checken wir das mit deinem Aszendenten. Ruf mich nach der
Sendung an, dann machen wir ein Date, okay?«
Anne lachte. »Als Wahrsagerin muß
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